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Apps auf Rezept: Wie geht das?

Mit Apps den Diabetes besser in den Griff bekommen, also zum Beispiel den Blutzucker bequemer überwachen oder einen gesünderen Lebensstil angewöhnen: Inzwischen gibt es viele solcher Programme und manchmal zahlt sogar die Krankenkasse dafür. Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz hat der Bundestag 2019 den Weg geebnet für digitale Gesundheitsanwendungen, kurz DiGAs. Ärzte dürfen solche Programme und Technologien für Handy, Tablet oder PC wie Medikamente verordnen. Doch das ist an Voraussetzungen geknüpft. DiGAs müssen Krankheiten erkennen, lindern oder behandeln können. Auch Menschen mit Diabetes könnten davon profitieren.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) prüft DiGAs, bevor sie in die Regelversorgung kommen. Fällt der Test für eine Anwendung positiv aus, kommt sie ins DiGA-Verzeichnis. Einblick erhalten Ärzte und Psychotherapeuten, die die DiGAs verordnen, aber auch Patienten per Internet. So kann man sich vorab informieren und mit dem Arzt besprechen, welche Anwendung infrage kommt.

Wie sind die Prüfkriterien für DiGAs? Die Technologie muss in Europa als Medizinprodukt niedriger Risikoklasse zertifiziert sein, ist also technisch bereits geprüft. Das BfArM untersucht zusätzlich Qualität, Datenschutz und -sicherheit. Zudem muss der Anbieter nachweisen, dass seine Anwendung einen positiven Effekt für den Patienten hat. Kann er das bei der Antragstellung nicht, ist es möglich, dass die DiGA vorläufig ins Verzeichnis kommt. Werden innerhalb eines Jahres die positiven Effekte nicht dargelegt, wird die DiGA aus der Liste gestrichen und kann dann nicht mehr verordnet werden.

Norbert Butz, Digitalisierungsexperte der Bundesärztekammer, sieht das kritisch: "Gesundheitsanwendungen sollten ihren medizinischen Nutzen nachweisen, bevor sie in die Regelversorgung kommen", sagt er. Es müssten strenge Standards gelten. Denn: "Gesundheits-Apps sind ein Risiko, wenn sie nicht wirken oder fehlerhaft arbeiten."

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Wie finde ich die Gesundheits­programme, die zu mir passen?

Den richtigen Mix an guten Gesundheits-Apps für sich zusammenzustellen ist keine leichte Aufgabe. So nähern Sie sich der Sache: Egal ob auf Rezept oder nicht, fragen Sie sich als Erstes, was Sie mit der Anwendung erreichen möchten. Den Blutzucker dokumentieren? Die Kohlenhydrate berechnen? Sich an die Medikamente erinnern lassen? Oder die Fitness verbessern? Das reduziert schon mal die Anzahl der Apps.

Dann sehen Sie sich infrage kommende Anwendungen genau an. "Seriöse Anbieter stellen dem Nutzer Informationen bereit, die folgende Fragen beantworten", sagt Professor Dr. Urs-Vito Albrecht, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der AG „Digitale Medizin an der Medizinischen Fakultät OWL der Universität Bielefeld: Welchen Zweck verfolgt die App? Wie funktioniert sie? Wo sind die Grenzen und Risiken? Erfolgt die Eingabe, Verwendung und Speicherung der Daten auf freiwilliger Basis? Gibt es ein ausführliches Impressum mit Angaben zum Hersteller und Kontaktinformationen? "Testberichte sind oft so schwierig einzuschätzen wie die App selbst", so der Experte. "Das Dia­Digital-Siegel der Diabetesverbände deckt nur wenige Apps ab, gibt aber gute Orientierung."

Wie helfen Diabetes-Apps im Alltag?

Ein Alltag ohne mobile Gesundheitsanwendungen ist für manche Menschen mit Diabetes kaum noch vorstellbar. Doch wofür setzen Menschen mit Diabetes Gesundheitsanwendungen ein? Klassiker sind Ernährungstagebücher oder Fitness-Tracker, die etwa Schritte zählen und den Energieumsatz ermitteln. Oder Programme, die die Kalorien oder Kohlenhydrate einer Mahlzeit ausrechnen. "Zunehmend mehr Menschen mit Diabetes dokumentieren auch digital ihre Blutzuckerwerte", sagt Dia­­betologe Dr. Matthias Kaltheuner aus Leverkusen.

"Vor allem Typ-1-Dia­betes ist eine Krankheit, bei der man es ständig mit Daten zu tun hat", erklärt der Arzt. Natürlich könne man die Werte handschriftlich in ein Tagebuch eintragen. Menschen, die täglich mehrmals den Zucker messen oder ihn rund um die Uhr per Sensor im Blick haben, greifen aber immer seltener zum Stift.

"Viele lassen die Werte direkt vom Blutzuckermessgerät oder vom Zuckersensor in eine passende App auf das Smartphone übertragen", erklärt Matthias Kaltheuner. "Das ist für die Patienten eine Erleichterung im Alltag." Auf dem Smartphone oder am Computer sieht der Betroffene etwa die Werte des Tages oder der Woche. Er kann sie analysieren und mit dem Arzt besprechen.

Dass die Nutzung solcher Apps auch etwas bringt, bestätigte 2019 eine Studie des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen: Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes, die Apps einsetzten, haben sich im Vergleich mit Nicht-Nutzern besser um ihren Blutzucker oder ihre Ernährung gekümmert.

Ob sich Apps auch positiv auf die Stoffwechsellage auswirken, haben diverse Studien bereits untersucht. Mit widersprüchlichen Ergebnissen: Manche Anwendungen halfen, den Blutzucker-Langzeitwert zu senken, andere nicht.

Wie sieht die Zukunft der Therapie aus?

Die digitale Technik verändert die Art und Weise, wie Ärzte und ­Patienten den Diabetes managen. "In diabetologischen Schwerpunktpraxen und Diabetesambulanzen im Krankenhaus werden schon heute die Daten von Insulinpumpe, Smartphone oder Lesegerät des Sensors ausgelesen", sagt Dia­betologe Matthias Kaltheuner. Mediziner betrachten dann die Blutzuckerwerte oder -kurven der vergangenen Wochen und analysieren sie. So sehen sie etwa, wenn ein Patient zu einer bestimmten Mahlzeit mehr Insulin braucht oder wenn die Dosis insgesamt erhöht oder reduziert werden muss.

Ärzte nutzen in Deutschland aktuell oft Diabetes-Softwarelösungen, die auf Praxis- oder Klinikrechnern installiert sind und dort die Daten speichern. Immer häufiger kommen sogenannte Cloud-Lösungen (engl. "Cloud" = Wolke) zum Einsatz. Das bedeutet, dass eine IT-Infrastruktur — also Server, Speicher­platz und Software — des Pumpen- oder Sensorherstellers genutzt wird. Die Daten werden in einem Rechenzentrum gespeichert. Der Patient kann sie dem Diabetologen zur Verfügung stellen und sich vielleicht mit dem Arzt telefonisch oder per Video besprechen.

Patienten, die auf dem Land wohnen und schlecht zum Arzt kommen, kann dies das Leben erleichtern. "Wer die Cloud nutzen möchte, sollte sich die Nutzungsbedingungen des Herstellers genau durch­lesen. Er ist verpflichtet, über Datenspeicherung, -nutzung und -schutz aufzuklären", sagt Kaltheuner.

Gesetzlich Versicherte können auch die elektronische Patientenakte (ePA) nutzen. Darin kann man Gesundheitsdaten wie Arztbriefe, Laborbefunde und Medikationspläne hinterlegen und Ärzten sowie Apothekern den Zugriff erlauben. Für Menschen mit Diabetes möchte die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) eine Zusatzlösung: "Wir ar­beiten an einer elektronischen Dia­betesakte, die mit der ePA über Schnittstellen verbunden werden soll", sagt DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer.

"Angedacht ist, darin Infos über den Diabetes eines Betroffenen zu bündeln und auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Therapieempfehlungen zu ermöglichen. Der Patient entscheidet, wem er Einsicht gewährt." Die Akte erleichtere allen Beteiligten den Überblick und verbessere die Behandlung.

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Manche ja. Manche aber nicht. 100-prozentige Sicherheit beim ­Datenschutz gibt es nicht.

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Welche Risiken gibt es?

Zum Beispiel, dass ­sensible Gesundheitsdaten an Dritte gehen. Eine App, die nichts kostet, bringt per se zunächst keinen Gewinn. Es liegt also nahe, dass die Daten bei den Geschäftsmodellen eine Rolle spielen. Das ist sogar möglich, wenn sich der Hersteller an die Datenschutz-Grundverordnung hält und den Datenverkauf offenlegt. Wer das nicht möchte, muss genau hinsehen.

Wie kann man erkennen, dass Daten an Dritte gehen?

Bei seriösen Anbietern wird man automatisch darüber informiert, oder es steht in der Datenschutzerklärung. Die ist aber oft sehr lang und sprachlich kompliziert. Wer sichergehen will, müsste den Datensendungsverkehr des Smartphones mitschneiden und analysieren. Das kann und macht natürlich kein Otto Normalverbraucher.

Wie steht es bei Gesundheitsanwendungen um die Datensicherheit?

Das hängt stark vom Aufwand ab, den der Hersteller betreibt. Nur wenige setzen ein gutes Datensicherheitskonzept um, weil es aufwendig und teuer ist.

Was kann ich als Nutzer tun?

Aufmerksam die ­Bedingungen lesen, denen man zustimmt. Plus: verschiedene, komplizierte Passwörter verwenden. Hackern fällt es so schwerer, an die Daten zu kommen. Generell sollte man beim Einsatz von Medizin-Apps daran denken, dass es sich nicht nur um Spielereien handelt. Sie sollten genauso vorsichtig und mit Bedacht eingesetzt werden wie Arzneimittel.