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Berthold Lochbühler aus Uhldingen-Mühlhofen, 74, Typ-1-Diabetes seit 1952

"Bei Unterzuckerungen bekam ich Brot zu essen"

Als ich mit dem Verdacht auf Zucker in eine Kinderklinik kam, war ich noch im Kindergartenalter. Meine Mutter und ich lernten dort das Spritzen. Das Insulin damals stammte aus Schweinen und Rindern.

In der Schulzeit bin ich regelmäßig umgekippt und wurde dann mit einem Bollerwagen nach Hause gefahren. Traubenzucker gab es nicht. Der Blutzucker musste sich allein regulieren. Erst später bekam ich bei Hypos etwas Brot. Das war eine trockene Angelegenheit und der Zucker stieg nicht schnell genug, aber man wusste es ja nicht besser. Blutzucker messen konnten wir in den ersten Jahren nicht. Mein Vater hat aber immer sonntags meinen Urin mit einer chemischen Mixtur aus der Apotheke ausgekocht. Wurde die Flüssigkeit schwarz, deutete das auf Zucker im Urin hin.

Ich hörte die Erwachsenen sagen: "Der hat Zucker, der wird höchstens 20 oder 30." Das wurmte mich. Genauso wie der strenge Essensplan, an den ich mich halten musste, meine gesunden Geschwister aber nicht. Mehrmals nahm ich an Diabetes-Ferienlagern teil. Dort traf ich andere Kinder mit Diabetes und erkannte, dass ich mit meinen Problemen nicht alleine bin. Da sind Freundschaften fürs Leben entstanden.

In der Liebe war der Diabetes nur ein einziges Mal Thema: Ich war schwer verliebt, hielt die Beziehung aber für sinnlos, weil ich dachte, ich kann sowieso keine Familie gründen. Als ich das meiner Liebsten sagte, gab die mir eine Ohrfeige. Wir sind immer noch glücklich zusammen. Aus Angst, meinen Diabetes zu vererben, haben wir zwei Mädels adoptiert.

1999 bekam ich meine erste Insulinpumpe. Heute habe ich ein Hy­brid-Closed-Loop-System mit gekoppelter Pumpe und Sensor. Was mich an den neumodischen Dingern nervt, ist das Gepiepse. Aber die Technik bringt was: Mein HbA1c liegt jetzt bei 6,3 Prozent, ich habe keine Folge­erkrankungen. Ich freue mich über jeden Stein im Schuh, den ich spüre!

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Erika Späth aus Helmbrechts, 83, Typ-1-Diabetes seit 1953

"Oft bin ich im Krankenhaus aufgewacht"

Die Diagnose bekam ich mit 15 Jahren, da war ich mitten in der Ausbildung. Behandelt wurde ich mit einem Insulin, das über den ganzen Tag wirken sollte. Einmal täglich spritzen – das war’s. Die Glasspritzen musste man durch Abkochen sterilisieren. Damals gab es auch keine Einmalnadeln, nur große Kanülen, die man sehr lange benutzen musste. Meine Oberschenkel sahen nach einer Weile furchtbar aus.

Aufklärung über Unterzuckerungen? Fehlanzeige! Als Jugendliche war ich oft in der Stadt unterwegs und wachte nach meinen Ausflügen mehr als einmal im Krankenhaus auf. Ich musste also das Bewusstsein verloren haben.

Als ich noch ein junges Mädchen war, wollten die Burschen gern mit mir anbandeln, aber ich war zurückhaltend, galt ich doch als krank. Den Richtigen habe ich später doch noch gefunden, als ich mal wieder zur Zucker-Einstellung im Krankenhaus lag. Wenn man von "Einstellen" überhaupt sprechen kann: Jeden Tag sollte man die gleiche Menge Insulin spritzen. Es gab auch eine Zeit, in der musste man zwei Insuline mischen. Sehr umständlich!

Das erste Zucker-Kontrollgerät habe ich 1988 erhalten. Und erst Mitte der 90er-Jahre bekam ich in einer Diabetesklinik die intensivierte Insulintherapie mit einem lang wirkenden und einem Mahlzeiten-Insulin verordnet. Ein Leitsatz hat sich früh bei mir eingebrannt: Man muss das Brot und die Kartoffeln abwiegen, sonst werden die Brotscheiben immer dicker und die Kartoffeln immer größer! Danach richte ich mich bis heute.

Schwere diabetische Leiden habe ich nicht, nur meine Augen hätten früher behandelt werden müssen. Durch mehrere Behandlungen ist mein Augenlicht aber erhalten geblieben. Meinen Diabetes manage ich immer noch allein und ich hoffe, dass das bis an mein Lebensende so bleibt.

F. Eckard Kuhröber aus Taufkirchen, 83, Typ-1-Diabetes seit 1939

"Fürs Insulin musste meine Mutter ihren Schmuck verkaufen"

Als ich zwei Jahre alt war, habe ich vor lauter Durst angefangen, Tau von Blättern abzulecken. Das fand meine Mutter merkwürdig. Im Krankenhaus wurde dann Zucker diagnostiziert. Die ersten Jahre, mitten im Zweiten Weltkrieg, waren schlimm, weil es kaum Insulin gab. Meine Mutter musste ihren Goldschmuck verkaufen, um für mich das lebensnotwendige Insulin zu bekommen. Wenn ihr mal aus Versehen eine Ampulle heruntergefallen ist, hat sie in ihrer Not das Insulin wieder in eine Spritze aufgesaugt.

Das Essen richtete sich streng nach einer Broteinheiten-Tabelle. Ich wollte aber auch mal naschen. Als ich im Schrank Eierlikör entdeckte, griff ich zu. Als meine Mutter bemerkte, dass sich die Flasche leerte, drohte sie mir an, mich nicht mehr zu spritzen – als Strafe für meinen Ungehorsam. Ich schaltete auf stur und spritzte mein Insulin ab da eben selbst. Da war ich gerade mal sechs Jahre alt.

In der Schule hatten die Lehrer kein Verständnis für meine Krankheit. Ich bekam den Spottnamen "Zuckerröber". Wenn ich während des Unterrichts essen musste, weil der Blutzucker herunterging, wurde ich angeschnauzt, ob ich nicht bis zur Pause warten könne. Sportunterricht wurde mir verboten. In der Zeit bin ich dann spazieren gegangen. Immer dabei: Karamellbonbons gegen Unterzuckerungen.

In meinem Leben habe ich nie Rücksicht auf den Diabetes genommen, wollte nie krank sein. Als selbstständiger Industriekaufmann bin ich viel unterwegs gewesen, heute hier, morgen dort, ohne festen Tagesrhythmus. Beim Essen war ich deshalb sehr diszipliniert. Jetzt im Alter gönne ich mir aber auch mal etwas. Folgeschäden habe ich soweit keine.

Das Insulin spritze ich mit dem Pen. Eine Pumpe, die den Diabetes sozusagen sichtbar macht, möchte ich nicht. Meinen Blutzucker messe ich sieben- bis achtmal täglich, auch nachts. Das rate ich jedem, der Diabetes bekommt: messen, messen, messen.