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die Corona-Pandemie mit einem Typ-1-Diabetes-Kind erleben

Diabetes in Zeiten von Corona

Isabelle Fabian ist Mutter von drei Kindern. Eines davon hat Diabetes Typ 1. Hier erzählt sie regelmäßig, wie es ihrer Familie in Zeiten von Corona geht zum Artikel

Es gibt Phänomene, die für Eltern schwer nachzuvollziehen sind. "Unboxing" ist so eines. Dabei zelebrieren Kinder z.B. das Auspacken von "Star Wars"-Sammelkarten oder schauen sich im Netz Videos an, wie andere Kids solche Packs öffnen. Unser Großer macht dagegen um das Enthüllen neuer Schuhe ein Gewese, und Konstantin schießt den Vogel ab: beim Unboxing seines neuen digitalen Pens. Ganz vorsichtig löst er die Klebestreifen, damit auch wirklich nichts an der Hülle aufreißt. Unter vielen "Ohs und Ahs" hebt er den Deckel an und ein babyblauer smarter Pen leuchtet uns entgegen. Er erinnert an die Miniaturausgabe eines Lichtschwerts. Was für eine mächtige Waffe! "Boah, kann ich dir das Teil abkaufen?", fragt Bruder Julius total verliebt. Konstantin kontert trocken: "Na klar, aber nur MIT Diabetes."

Diese Szene ist zwei Wochen her. Und leider haben sowohl der Pen als auch seine Box längst an Faszination verloren. Zwar ist der "Insulin-Stift" in Benutzung, die Verpackung liegt aber immer noch in der Küche und ruft lautstark: "Öffne mich! Studiere die Bedienungsanleitung!" So kommt es, dass ich am Samstagabend, statt Blockbuster zu schauen, auf die Anleitung gucke. Nach nicht einmal einer Viertelstunde später bin ich ziemlich ernüchtert. Irgendwie hatte ich gehofft, der Pen könnte mehr als das Speichern von 1000 Insulininjektionen.

Man kann das Teil mit einer App verbinden, allerdings hat diese nur einen Stern in der Bewertung. Davon abgesehen bin ich bis jetzt von keiner Diabetes-App überzeugt. Liegt aber vielleicht auch daran, dass es mir genügt, ganz altmodisch ein analoges Diabetes-Tagebuch zu führen. Jede Mahlzeit schreibe ich auf, auch Aktivitäten wie Sport und Couchsurfing. So kann ich nach Monaten noch nachvollziehen, was am Tag X gegessen wurde und was wir damals gespritzt haben. Ich sehe schwarz auf weiß, wie sich Dinge entwickeln. Einige Apps können das auch, aber Konstantin müsste sie mit seinen Werten und Daten füttern, auf seinem Telefon. Solche Dinge überfordern ihn, er ist ja erst zehn Jahre alt. Ich bin schon froh, wenn er mit seinem CGM und nun auch noch mit dem elektronischen Pen zurechtkommt. An eine Pumpe oder an eine, die halbautomatisch läuft, aber trotzdem viele Eingaben erfordert, ist momentan überhaupt nicht zu denken. So wunderbar ich die Fortschritte finde und so sehr ich mir auch wünsche, dass Konstantin davon profitiert.

Selbst mit dem digitalen Pen, der nach eingehender Prüfung nicht viele Raffinessen aufweist, außer die feine Insulinabgabe in 0,1er-Schritten, können fatale Fehler passieren. So hat Konstantin etwa letztens ein Stieleis essen wollen. Er las auf der Packung: 24 g Kohlenhydrate, also 2,4 KE, dafür braucht er 2,4 IE. Eingestellt hat er am Pen aber 4,2 IE. Verflixt! Ein Zahlendreher! Zum Glück war mir Konstantins Irrtum direkt nach dem Spritzen aufgefallen. Also musste er noch etwas essen. Einen Apfel gab es.

Durch Corona sind wir beide daheim und ich kann solche Dinge "überwachen". Dafür hält aber die Unselbstständigkeit Einzug, und mein Sohn hat immer weniger Lust, seinen Diabetes allein zu managen. Da hilft leider auch kein babyblauer Laserschwert-Pen.

Im Zusammenhang mit der Einstellung der Insulineinheiten hat mich noch eine Sache sehr verwundert: Man kann ein Tageslimit einstellen, Minimum 80 IE und eine Maximaldosis von mindestens 60 IE pro Injektion. Damit könnte sich Konstantin momentan umbringen. Ich habe versucht die Limits herabzusetzen – Fehlanzeige! Eine Einmalinjektion von 10 IE Maximum – unmöglich! Für mich absolut unverständlich. Einerseits kann man das Insulin präzise dosieren, andererseits sind aber vom Hersteller Grenzen in Größenordnungen festgelegt, die überhaupt nicht kindgerecht sind. Nun muss ich Konstantin sensibilisieren, achtsam zu sein und seine digitale Insulineingabe noch mal zu überprüfen, bevor er sich einen Schuss setzt.

Apropos Schuss setzen: mal eben schnell – mit dem smarten Pen für uns momentan leider auch ausgeschlossen. Was für ein mühseliges Getippe, bis man den Pen entlüftet hat, die Dosis eingestellt ist und man endlich spritzen kann. Entnervt hat Konstantin in den vergangenen Tagen wieder zum alten Pen gegriffen, immer dann, wenn es seiner Meinung nach schneller gehen musste. Ich versuche es nun mit der "Star Wars"-Taktik: "Mein Sohn, nimm dieses blaue Lichtschwert. Es soll dich beschützen und dir im Diabetes-Kampf eine nützliche Waffe sein." Heute morgen beim Frühstück hat’s geklappt. Möge die neu erwachte Begeisterung bitte etwas länger anhalten als die Freude der Unboxing-Zeremonie. Möge die Macht mit MIR sein!