Logo der Apotheken Umschau

Weitere Tagebucheinträge finden Sie unter:

die Corona-Pandemie mit einem Typ-1-Diabetes-Kind erleben

Diabetes in Zeiten von Corona

Isabelle Fabian ist Mutter von drei Kindern. Eines davon hat Diabetes Typ 1. Hier erzählt sie regelmäßig, wie es ihrer Familie in Zeiten von Corona geht zum Artikel

die Corona-Pandemie mit einem Typ-1-Diabetes-Kind erleben

04.05.2020: Unvorhersehbare Turbulenzen

Seitenschneider und Unterzucker: Wie passt das zusammen? Ein gemütlicher Radausflug von Konstantin und seinem Papa bringt das Abendprogramm von Isabelle Fabian durcheinander zum Artikel

"Maaaaammmaaaa!", brüllt es aus Konstantins Kinderzimmer. Sosehr ich es liebe, Mama zu sein und Mama gerufen zu werden, gekreischt in einer Lautstärke von 90 Dezibel verheißt es nichts Gutes. Ich atme tief durch, bevor ich das Reich meines Sohnes betrete, und bin gespannt, was mich erwartet. "Mathilda hat meinen Traubenzucker aufgegessen." Echt jetzt?! Deshalb so ein Geschrei?! Der Blick aufs CGM verrät mir: Ja, deshalb.

Mein Zehnjähriger ist nicht er selbst, wenn er "zu niedrig" ist. Es gibt mehrere Stadien der Unterzuckerung. Phase 1: Er ist überdreht. Schwer vom Normalzustand zu unterscheiden. Level 2: Er wird laut und grantig, weil hungrig. Stufe 3: Das Gesicht verliert an Farbe. Konstantin wird zittrig und legt sich freiwillig hin. Das vierte Stadium haben wir zum Glück bisher nur einmal erlebt: Sein Herz raste, er fing an zu lallen und war nicht mehr wirklich bei sich. Hinterher konnte er sich kaum erinnern, was passiert war. Die Steigerung davon, eine Ohnmacht, muss ich hoffentlich nie erleben. Wir befinden uns aber gerade erst bei Stufe 2.

Während ich in den ersten Wochen nach der Diabetesdiagnose vergangenen Sommer bei jeder Unterzuckerung vor Sorge selbst Herzklopfen bekam, bleibe ich jetzt ruhig: "Oben auf deinem Hochbett liegen zwei Päckchen Traubenzucker. Die kannst du essen." "Eben nicht. Die hat Mathilda gefuttert", schnaubt Konstantin. Ich weiß, es ist das Diabetesmonster, das da aus ihm spricht, also schlucke ich meinen Ärger über sein Verhalten hinunter. Ich will gerade ansetzen, dass ich ein Päckchen in meiner Strickjacke habe, beim Tasten erfühle ich aber nur zwei Schmetterlings-Haarspangen in der linken, drei Notizzettel und einen Mund-Nasen-Schutz in der rechten Tasche. Wo ist der Reserve-Zucker abgeblieben? Ich bleibe stumm und suche stattdessen in der Diabetes-Tasche. Auch dort von Zucker keine Spur.

Ich verlasse wortlos das Zimmer. Dafür wieder Löwengebrüll: "Maaaaammmaaa!" Ignoranz ist eigentlich nicht mein Stil, aber ich weiß ganz genau, was mich erwartet hätte. Durch die lange Zeit der Corona-Krise und dem damit verbundenen Lagerkoller bin ich des Diskutierens und Fabulierens unheimlich müde, besonders mit einem Kind im Unterzucker. Hätte ich meinem Sohn auf sein Geschrei liebevoll geantwortet: "Moment, mein Schatz, ich hole dir Traubenzucker aus der Küche", hätte ich Folgendes vor den Latz geknallt bekommen: "Jetzt will ich überhaupt keinen Traubenzucker mehr!" Angebote wie Saft oder Apfel oder Kombinationen aus beidem wären ebenfalls abgelehnt worden. Mit Sicherheit hätte Konstantin nach etwas verlangt, das garantiert nicht Teil der gut sortierten Küche oder Inhalt des prall gefüllten Kühlschranks ist. Ich kann nur verlieren. Ich stecke fest im Traubenzucker-Dilemma.

Rasch peile ich das zuckersüße Schubfach an, in dem sich Backutensilien, meine Naschvorräte und der Traubenzucker befinden sollten. Mit Erstaunen muss ich feststellen, dass die Tüte mit den Minizuckern leer ist. Stattdessen jede Menge Verpackungsschnipsel. Nächste Station: Rucksack. Darin habe ich immer zwei oder mehr Teilchen verstaut. Niente! Die Anrichte neben der Wohnungstür fällt mir noch ein. Dort ist normalerweise auch einer deponiert für den Fall, dass Konstantin ohne Tasche in den Garten rausgeht. Negativ!

Statt Kinderzimmer Nummer 1 wieder anzusteuern, klopfe ich an Nummer 2 und frage den Großen: "Hast du den ganzen Traubenzucker gegessen?" Er verneint, gibt allerdings den Verzehr anderer Lebensmittel zu, die ich bis dahin noch gar nicht vermisst habe. In dem Moment geht mir ein Licht auf. Mathilda! Natürlich hat unsere Zweijährige mitbekommen, dass Konstantin Zucker bekommt, wenn er sich schlecht fühlt. Jedes Mal will sie dann auch einen haben. Mamas Erklärungen, dass der große Bruder "krank" sei und den Zucker brauche, sie hingegen nicht, weil er ihr und ihren Zähnen schade, haben bislang nicht gefruchtet. Klingt jetzt, da ich es niederschreibe, auch ziemlich unlogisch. Regelmäßig dreht die Zuckerpuppe dann auch auf 90 Dezibel auf. Was ihr Bruder kann, kann sie schon lange! Jedenfalls hat sie genau beobachtet, wo was zu holen ist. Sehr clever!

Ich setze fix eine Nachricht an meinen Mann ab: "SOS! Traubenzucker besorgen! Bitte! (Kuss-Emoji)", und überlege fieberhaft, was ich Konstantin nun anbiete. Irgendetwas, das er nicht ablehnen kann. Cola! Darf er sonst nur zu besonderen Anlässen. Verwundert, weil es plötzlich still geworden ist und keiner mehr "Mama" brüllt, gieße ich ein Glas ein und kehre dann ins Kinderzimmer Nummer 1 zurück. "Unterm Kopfkissen lag noch Traubenzucker, den hat Mathilda nicht gefunden. Mir geht's wieder gut", strahlt Konstantin. Das Grinsen wird noch breiter, als er die Cola erspäht. Ich ahne, dass ich gerade eine neue Baustelle aufgemacht habe …

Lesen Sie auch:

Frau mit Kopfschmerzen

Tipps gegen Unterzucker

Unterzuckerungen sind wie ungebetene Gäste. Sie kommen meist unerwartet und können den ganzen Tag verderben. So reagieren Sie richtig zum Artikel

die Corona-Pandemie mit einem Typ-1-Diabetes-Kind erleben

27.05.2020: Zu viel des Guten

Tochter Mathilda lässt sich am Abend gar nicht beruhigen. Während Isabelle Fabian und Konstantin die Blutzuckerkurve des Tages feiern, sorgt die Zweijährige für eine rote Überraschung. zum Artikel