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Meine Ohren glühen. Im linken summt ein Bienenschwarm. 25 Telefonate an einem Tag. Knapp die Hälfte davon, um Konstantins Diabetes "aus der Ferne" zu managen und seinen Wiedereinstieg in die Schule zu organisieren. In ein paar Tagen geht es endlich wieder los. Ganz abgesehen davon, dass Konstantin es kaum erwarten kann, bedarf es doch einiger Vorbereitungen. Denn nichts wird mehr sein wie vorher. Durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Vorschriften müssen die Lehrer den kompletten Schulalltag neu gestalten. Das wiederum hat auch Auswirkungen auf Konstantins Diabeteshandling.

Seit Beginn des Schuljahres wird mein Sohn von einer Pflegekraft in der Mittagspause unterstützt. Die Schwester hilft das Essen abzuwiegen und die Insulindosis zu berechnen. Dieser Pflegedienst muss nun schleunigst reaktiviert werden. Da ich aber bislang nur dürftige Infos habe, wann und vor allem unter welchen Hygieneauflagen die Essenspause ablaufen wird, kann die Chefin des Pflegedienstes Konstantin noch nicht eintakten. Wir telefonieren also fröhlich hin und her.

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Zum Glück habe ich einen kurzen Draht zu Konstantins Klassenlehrer und erfahre direkt, wie es kommende Woche weitergehen soll: zweimal Blockunterricht á 90 Minuten. Zwischendurch Hofpause. Ab sofort soll es um 11 Uhr Mittagessen geben, viel früher als üblich. Für meinen Sohn eine ungünstige Zeit zum Essen, weil der Insulinbedarf mittags ein anderer ist als morgens. Die neue Essenszeit liegt genau dazwischen. Das wird spannend. Ob der Pflegedienst überhaupt kommen darf, ist meine drängendste Frage. Ja, darf er. Allerdings muss die Begleiterin vor dem Schulgebäude warten, bis sie an der Tür abgeholt und dann ins Klassenzimmer geleitet wird. Dort soll nämlich ab sofort gespeist werden. Hintergrund: Die Kids sollen ausschließlich in ihrem Klassenverband bleiben, keinen Kontakt zu anderen haben. Sollte ein Schüler positiv auf das Coronavirus getestet werden, muss dann nicht gleich die komplette Schule schließen. Die Umsetzung des neuen Schulkonzepts wird definitiv für uns alle eine Herausforderung.

Nachdem ich mit Konstantins Lehrer durch bin, klingele ich die Leiterin des Pflegedienstes noch mal an und informiere sie, wie es kommende Woche laufen soll. Ich bin heilfroh, dass mein Kind wieder Hilfe bekommt. Denn Konstantin ist ganz schön verunsichert. Die vielen Wochen daheim hat er sich immer auf Mamas Rat verlassen. In der Schule muss er nun wieder allein denken, nicht nur wenn es um seinen Diabetes geht. Außerdem arbeite ich derzeit wieder vermehrt aushäusig. Deshalb klingelt das Telefon jetzt noch häufiger. Einfach ausschalten geht leider nicht. Zu Hause könnte ja mal "was" sein. Und bei Konstantin ist immer mal "was". So auch heute, als ich gerade mit Kollegen einen möglichen Drehort für meinen Job im Funk besichtigte. Statt einer Blutzucker-Hiobsbotschaft erwartet mich allerdings eine schlichte Ansage von Konstantin: "Schulaufgaben fertig. WLAN freischalten! Bitte." Mein Sohn spricht am Handy meistens im Steno-Ton. Telefonieren war noch nie seins. Gern legt er nach dem Gesagten einfach auf, bevor ich etwas erwidern oder nachfragen konnte, wo er denn zuckertechnisch liegt.

Ich entschuldige mich also kurz bei meinen Kollegen und rufe seinen großen Bruder Julius an. Der nimmt ab und schweigt. Es ist ein vielsagendes Schweigen: "Mama wird schon gleich loslegen. Ich warte ab, was sie von mir will."  Manchmal könnte ich aus der Haut fahren ... Ich will aber tatsächlich etwas von ihm, also säusle ich Julius ins Ohr, er möge Konstantin zu einer blutigen Messung bewegen und mir den Wert durchgeben. Ergebnis: zu hoch. Hab ich`s doch geahnt! Schließlich war das in letzter Zeit öfter der Fall.

Kaum Anweisungen erteilt und aufgelegt, bimmelt es erneut. Diesmal ist es mein Mann. Er erzählt mir, dass das Taxiunternehmen, das Konstantin jeden Morgen zur Schule befördert, kommenden Montag zur üblichen Zeit wieder fährt. Ich mache gedanklich ein Häkchen in der mir endlos lang erscheinenden To-do- und Anrufliste und danke meinem Mann für sein "Organisationstalent". Verwundert über meine bissige Tonlage hängt er ein. Ups, das werde ich später glattbügeln müssen.

Meine Ohren fühlen sich immer noch heiß an, als ich mich abends auf die Couch plumpsen lasse und meinem lieben Mann erkläre, warum ich so entnervt war. Er versteht mich. Aber in meinem näheren Umfeld gibt es einige Menschen, die nicht nachvollziehen können, warum ich mich manchmal nicht in der Lage fühle, ans Telefon zu gehen, oder die sich beschweren, dass ich mich nur selten melde. Da klingelt schon wieder das Telefon. Blick aufs Display: Konstantin. Er ruft aus seinem Zimmer an. Ich gehe ran, probiere Julius Methode und warte einfach stumm ab, was kommt. "Sorry, Mama, hab mich verwählt!"