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Den 19-jährigen Mann traf es aus heiterem Himmel. Er war sportlich aktiv und kerngesund. Doch innnerhalb weniger Wochen hörte sein Körper auf, Insulin zu produzieren. Jenes Hormon, das wichtig ist, um den Blutzucker zu regulieren. Eine Analyse ergab: Der junge Mann hatte sich fünf bis sieben Wochen zuvor bei seinen Eltern mit dem Coronavirus  Sars-Cov-2 angesteckt. Er hatte nicht einmal etwas von seiner Infektion bemerkt. Das war im März 2020.

Zuckerkrank kurz nach einer Corona-Infektion: Zufall ist eine naheliegende Erklärung. Doch bei dem Patienten war einiges auffällig. Er hatte kein besonders hohes Risiko für Typ-1-Diabetes. In seinem Blut fanden sich zudem keinerlei Abwehrstoffe (Autoantikörper) gegen Insulin oder andere Teile der insulinbildenden Zellen der Bauchspeicheldrüse. "Alles in allem gab sein Befund einen Hinweis, dass Coronaviren seine insulinbildenden Zellen zerstört haben könnten", sagt Professor Stefan Bornstein, Direktor des Zentrums für Innere Medizin an der Technischen Universität Dresden.

Professor Stefan Bornstein, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III und des Zentrums für Innere Medizin, Technische Universität Dresden

Professor Stefan Bornstein, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III und des Zentrums für Innere Medizin, Technische Universität Dresden

Covid-19 kann viele Organe betreffen

Ein Verdacht also, doch kein Beweis. Der Zusammenhang bleibt unklar, wie so vieles zu den langfristigen Folgen, die eine Covid-19-Infektion nach sich ziehen kann. Mediziner fassen darunter zahlreiche Symptome zusammen, die über die akute Phase hinaus andauern oder neu hinzukommen. Fachleute sprechen vom Long Covid- oder Post Covid-Syndrom bei Beschwerden nach mehr als vier Wochen nach der Infektion. Mediziner fassen darunter zahlreiche Symptome zusammen, die über die akute Phase hinaus andauern oder neu hinzukommen.

Schätzungen zufolge ist etwa jeder zehnte Infizierte vom Long/Post Covid-Syndrom betroffen. Das würde bedeuten: Mindestens 1,2 Millionen Menschen in Deutschland leiden oder litten im Verlauf der Pandemie bis Mitte Februar 2022 unter länger anhaltenden Folgen der Infektion.

Fest steht: Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann viele Organe in Mitleidenschaft ziehen. Das passiert etwa bei Patienten mit schweren Verläufen, die im Krankenhaus behandelt werden. Und auch bei einer heftigen allgemeinen Entzündungsreaktion, die vor allem Kinder trifft. Sie trägt das Kürzel Pims. Oft verläuft die Infektion zunächst beschwerdefrei und Wochen später kommt es zur heftigen Reaktion mit hohem Fieber, Hautausschlag und Entzündungen von Organen. Pims ist allerdings recht selten. 688 Erkrankungen in Deutschland zählt der PIMS-Survey am 13. Februar 2022.

Coronavirus infiziert insulinbildende Zellen

Kann also eine Corona-Infektion auch die Bauchspeicheldrüse in Mitleidenschaft ziehen?  Wissenschaftler sind der Antwort ein Stück nähergekommen. So haben Forscher um Bornstein gezeigt, dass Sars-Cov-2 die insulinbildenden Zellen des Organs infizieren kann. Die Ergebnisse wurden im Juni 2021 in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Ein Patientenregister soll zur weiteren Klärung beitragen. Es sammelt weltweit Patientendaten von Menschen, die nach einer Infektion mit Sars-Cov-2 an Typ-1-Diabetes erkrankten. Experte Bornstein startete es, nachdem der erste Verdachtsfall des jungen Mannes bekannt wurde. "Wir konnten bereits rund 1000 Patienten in das Register aufnehmen", sagt Bornstein. Demnächst will er erste Ergebnisse publizieren.

Der Nachweis für einen ursächlichen Zusammenhang ist schwer zu erbringen. Viele Stress-Ereignisse stehen unter Verdacht, den Ausbruch von Typ-1-Diabetes anstoßen oder beschleunigen zu können, darunter Infektionen und andere Krankheiten. Es wird noch erforscht, welche Rolle sie genau spielen.

5162 Typ-1 Diabetes Neuerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen wurden hierzulande in den ersten 18 Monaten der Pandemie erfasst. Das sind 15 Prozent mehr als in einem vergleichbaren Zeitraum zuvor. Das zeigt eine aktuelle Analyse der Universität Gießen, veröffentlicht im Januar 2022 in der Fachzeitschrift Diabetes Care. Allerdings wurde darin nicht erfasst, ob sich die Betroffenen zuvor mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Unter anderem deshalb kann diese Studie nicht klären, ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen einer Infektion und dem Auftreten von Typ-1-Diabetes besteht.

Vielleicht auch nur eine normale Schwankung

So sieht das auch Professor Andreas Neu, Kinderdiabetologe und Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft: “Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von der Universität Gießen ordnen ihre Studienergebnisse selbst richtig und darum zurückhaltend ein. Tatsächlich beobachteten sie eine Zunahme der Typ-1-Diagnosen bei Kindern nach der ersten Corona-Welle. Diese stieg aber in der zweiten Welle nicht weiter an, obwohl sich dort deutlich mehr Kinder und Jugendliche mit Corona infiziert hatten.“

Die Ergebnisse könnten laut Neu also im Bereich der normalen Schwankungen bei den Typ-1-Zuwächsen liegen, die in Deutschland seit Jahrzehnten beobachtet werden. Und wenn es einen Efffekt gibt, ist dieser vermutlich indirekt, schreiben die Autoren der Studie. „Denkbar wäre etwa der vermehrte Stress, dem Kinder während der Corona-Pandemie nachweislich ausgesetzt sind“ mutmaßt Neu. „Stress steigert die Ausschüttung des Hormons Cortisol, das die Wirkung von Insulin abschwächt. Eine bereits begonnene Autoimmunerkrankung wie Typ-1-Diabetes könnte dadurch schneller fortschreiten.“ Doch auch das ist nur eine Annahme.

Riesenwirbel - wenig Aussagekraft

Eine Studie in den USA untersuchte das Auftreten von Diabetes vom Typ-1 und Typ-2 nach einer Infektion mit dem Coronavirus. Sie umfasste Patientendaten von 1,7 Millionen Kindern und Jugendlichen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Diabetes bei denjenigen häufiger auftrat, die an Covid-19 erkrankt waren. Nach Covid-19 erkrankten außerdem mehr Kinder und Jugendliche an Diabetes als das vor der Pandemie nach anderen Atemwegsinfektionen der Fall war.

„Diese Studie hat einen Riesenwirbel verursacht, doch sie ist nicht besonders aussagekräftig“, sagt Bornstein. „Denn wie jeder rückblickende Vergleich erlaubt auch dieser keine Schlüsse auf ursächliche Zusammenhänge. Zudem umfasste diese Analyse nur den kurzen Zeitraum von wenigen Wochen. Es bleibt also unklar, ob sich der Zuckerstoffwechsel anschließend wieder normalisiert hat.“ Vorübergehende Entgleisungen bei akuten Covid-19-Erkrankungen sind nichts Ungewöhnliches.

Vieles bleibt unklar, weitere Forschung ist nötig

Ob eine Covid-19-Erkrankung also tatsächlich zum Auftreten eines Diabetes beitragen kann, bleibt also unklar „Wir wissen es nicht – und können es auch gar nicht wissen, weil es eines viel längeren Untersuchungszeitraums bedarf, um so einen Verdacht wissenschaftlich haltbar zu überprüfen,“ meint Neu. Die US-Studie sei zur Klärung der Frage ungeeignet. Weitere Forschung ist also nötig.

Was feststeht, ist, dass schlechte Zuckerwerte das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf erhöhen können. Bornstein: "Wer eine langjährig schlechte Blutzuckereinstellung mit Gefäß- und Nervenschäden hat, ist besonders gefährdet." Schwere Erkrankungen verhindern und möglicherweise das Risiko für langfristige Folgen vermindern: Das sind zwei gute Gründe, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen.

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