Der Weg aus der Depression
Schlechte Werte, Therapieprobleme: Manchmal verbirgt sich hinter Schwierigkeiten mit dem Diabetes eine Depression. So erkennen Sie die Anzeichen und finden Unterstützung
Bei manchen Patienten mit Diabetes sind ernste Worte vom Arzt angebracht, wenn sie sich nicht gut um ihre Krankheit kümmern und die Zuckerwerte zu hoch sind. Andere brauchen jedoch keine Ermahnungen, sondern professionelle Hilfe. Denn ein häufiger Begleiter der Zuckerkrankheit — und ein großes Problem für die Therapie — sind Depressionen. Sie zu erkennen ist oft nicht einfach.
Warnzeichen Schlafstörung
"Menschen mit Depressionen klagen beim Arzt oft über körperliche Beschwerden", sagt Andrea Eisenberg, Leitende Oberärztin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Nürnberg Nord. Häufig seien das Schlafstörungen, Müdigkeit, Veränderungen des Appetits oder Schmerzen. Darin die Symptome einer psychischen Erkrankung zu erkennen ist eine Herausforderung — wenn Betroffene überhaupt zum Arzt gehen.
Selbst wenn sich eine Depression mit typischen Anzeichen zeigt, werden diese oft lange fehlgedeutet oder ignoriert. Nichts macht mehr Freude, den Alltag zu bewältigen kostet viel Kraft, die Konzentration ist dahin: "Das ist doch sicher nur ein Durchhänger, das wird schon wieder", denken viele, auch wenn dieser Zustand schon Wochen andauert. Besonders Männer wollen oft nicht wahrhaben, dass sie nicht mehr wie gewohnt "funktionieren", und haben Hemmungen, sich deswegen einem Arzt anzuvertrauen.
Diabetiker sind öfter betroffen
Dabei sollten gerade Menschen mit Diabetes bei einem anhaltenden Seelentief die Warnzeichen ernst nehmen. Denn Depressionen sind bei ihnen häufiger. Einer von drei Diabetespatienten erlebt gelegentlich depressive Phasen. Bei etwa jedem achten sind sie so ausgeprägt, dass eine Therapie nötig ist.
Warum Depressionen entstehen, darauf findet sich keine einfache Antwort. "Es gibt nicht die alleinige Ursache, sondern es wirken genetische und äußere Faktoren zusammen", sagt Andrea Eisenberg: "Bei einer starken erblichen Veranlagung kann schon ein kleiner äußerer Auslöser genügen, um die Erkrankung anzuschieben." Umgekehrt könne auch ein stabiler Mensch depressiv werden, wenn genügend Schlimmes im Leben zusammenkomme, wie Todesfälle, Krankheiten, Jobverlust. Selbst Lebensveränderungen, die für Außenstehende scheinbar positiv sind, können subjektiv als Belastung erlebt werden. "Ein Beispiel wäre ein beruflich erfolgreicher Mensch, der befördert wird", so Eisenberg. Er müsse mit den neuen Aufgaben vielleicht viel mehr Verantwortung übernehmen als vorher und gerate dadurch in eine Krise.
Diabetes kann Menschen auf unterschiedliche Weise belasten: Zur ständigen Stoffwechselkontrolle und Therapie kommt die Angst vor Spätfolgen oder akuten Krisen wie Unterzuckerungen. Manche Diabetiker müssen mit Komplikationen, zum Beispiel Augenproblemen, Nervenschäden oder Erektionsstörungen, zurechtkommen. Auch ins berufliche Leben mischt sich der "Zucker" manchmal ein und erzwingt womöglich einen Arbeitsplatzwechsel. All diese Belastungen addieren sich und können das Risiko für eine Depression erhöhen.
Keine Kraft fürs Zuckermessen
Bleibt die Seelenkrise unbehandelt, leidet die Diabetestherapie mit. Wer schwer depressiv ist, schafft es oft nicht einmal, aus dem Bett aufzustehen, geschweige denn, sich um gesunde Ernährung, Sport, Zuckermessen oder Medikamente zu kümmern. Depressionen bedeuten außerdem für den Körper chronischen Stress. Er schüttet dann mehr Cortisol aus. Das Hormon bremst unter anderem die Insulinwirkung und fördert die Zuckerneubildung in der Leber — der Blutzucker steigt.
Wie aber aus dem Tief herausfinden, wenn die Gedanken nur noch negativ sind und die Situation ausweglos erscheint? Aufmunternde Ratschläge von Freunden wie "Du brauchst einfach mal Urlaub", "Geh mehr an die frische Luft" oder "Reiß dich zusammen" mögen gut gemeint sein. Sie sind aber ungefähr so nutzlos wie der Rat an einen Patienten mit massivem Übergewicht, es mal mit Joggen zu probieren: Er wird es selbst bei aller Anstrengung nicht können. Depression ist eine Erkrankung, die ärztlich behandelt werden muss und meist auch gut behandelt werden kann.
Wie Psychotherapie wirkt
Vielen Betroffenen hilft eine Psychotherapie. Es gibt zwei unterschiedliche Formen: tiefenpsychologische Methoden, bei denen der Therapeut gemeinsam mit seinem Patienten die zugrunde liegenden Belastungen aufarbeitet, und Verhaltenstherapien. Dabei lernen die Patienten, negative Denkmuster und Verhaltensweisen durch positive zu ersetzen. Häufig kombinieren Therapeuten Ansätze aus beiden Formen. Andrea Eisenberg: "Die Psychotherapie stärkt Patienten, weil sie ihre Erkrankung besser verstehen und handeln können, anstatt hilflos im Sog der Depression festzustecken."
Weil die Wartezeiten für Therapieplätze teilweise recht lang sind, wurde in Deutschland die "psychotherapeutische Sprechstunde" eingeführt, mit der psychisch kranke Menschen schnell einen Termin bekommen (siehe Kasten unten).
Gute Erfahrungen, zumindest für Menschen mit eher leichten Depressionen, gibt es inzwischen aus einer Reihe von Studien mit verschiedenen Online-Programmen (siehe Kasten unten). Manche Angebote sind kostenpflichtig, werden aber von einigen Krankenkassen finanziert. Vorteil der digitalen Therapeuten: Sie sind jederzeit und sofort verfügbar und ortsunabhängig. Ob und welche Angebote geeignet sind, sollten Interessierte vorab mit ihrem Haus- oder Facharzt besprechen.
Terminfinder
Ohne lange Wartezeiten einen Termin für die "psychotherapeutische Sprechstunde" beim Facharzt oder Psychotherapeuten finden — dabei helfen die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen:
www.bundesgesundheitsministerium.de -> Themen -> Krankenversicherung -> Terminservicestellen
Therapeutensuche
Psychotherapeutensuche nach Postleitzahl: www.therapie.de
Therapiehelfer im Internet
Online-Programme können bei leichten Depressionen helfen. Viele Krankenkassen empfehlen ihren Mitgliedern die Teilnahme an solchen Programmen und übernehmen anfallende Kosten. Fragen Sie am besten direkt bei Ihrer Kasse nach.
Das Online-Programm der Stiftung Deutsche Depressionshilfe ist kostenfrei: www.ifightdepression.com
Keine Angst vor Medikamenten
Schwere Depressionen können mit einer Psychotherapie allein nicht ausreichend behandelt werden. Ärzte verschreiben ihren Patienten dann zusätzlich Medikamente. "Leider halten sich bis heute Vorurteile und Irrtümer zu den Antidepressiva", bedauert Andrea Eisenberg. Manche Patienten befürchten, davon abhängig zu werden. Andere haben Angst vor einer Veränderung der Persönlichkeit.
Expertin Eisenberg kann sie beruhigen: Die Wirkstoffe machen weder süchtig, noch verwandeln sie das Selbst. "Im Prinzip tun die meisten Mittel nichts anderes als viele Diabetesmedikamente", sagt sie. "Sie sorgen dafür, dass körpereigene ‚gute‘ Botenstoffe wieder besser wirken können." Wichtig zu wissen ist, dass Antidepressiva keine Akutmedikamente sind. Sie entfalten ihre Wirkung häufig erst nach zwei bis vier Wochen. Bei Psychotherapie ist oft noch mehr Geduld nötig.
Für manche Menschen bleibt es bei einer einzigen depressiven Episode im Leben. Bei anderen meldet sich die Krankheit immer wieder. Die Therapie kann die Veranlagung zu Depressionen nicht beseitigen, aber Krankheitsphasen zum Abklingen bringen und das Risiko von neuen depressiven Episoden deutlich mindern.
Im Notfall
Zögern Sie nicht, holen Sie sich Hilfe!
24-Stunden-Hilfe in akuten Krisen
• Notarzt: 112
• Telefonseelsorge: 0800/1110-111, 0800/1110-222