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7:30

Ich stelle den Wecker meiner Insulinpumpe ab und schaue noch im Bett aufs Handy – um meinen aktuellen Zuckerwert zu checken: 115 mg/dl (6,4 mmol/l). Ein guter Wert! Auch die Blutzuckerkurve der letzten Stunden schaut passabel aus. Mal sehen, wie mein Körper den heutigen Arbeitstag verkraftet. Mein Sensor am Oberarm funkt alle fünf Minuten einen neuen Wert ans Handy. Mir entgeht also keine Zuckerkapriole.

Bevor ich mich hochrappele, rufe ich zwei Einheiten Insulin an der Pumpe ab. Sonst steigt der Zucker nach dem Aufstehen sofort an. Schuld sind Hormone, die der Körper ausschüttet, um in die Gänge zu kommen. Sagt meine Diabetologin. Und ich als Morgenmuffel brauche wohl eine Menge davon.

8:00

Nach dem Anziehen und einem kurzen Ausflug ins Bad der nächste Blick aufs Handy. Der Wert ist kaum gestiegen, super! Dann hole ich noch mal die Pumpe aus der Hosentasche, rufe durch zwölfmaliges Knöpfchendrücken sechs Einheiten Insulin ab und wiege mir in der Küche mein Frühstück ab. 60 Gramm Müsli plus 50 Gramm Beeren plus ein Glas Milch ergibt vier BE. Für die brauche ich die sechs Einheiten Insulin.

Mein "Turboinsulin" scheint sich am Morgen nur langsam ins Blut zu schleppen. Daher warte ich noch 15 Minuten, bevor ich das Müsli löffele. Dieser Drück-Ess-Abstand bremst den Zuckeranstieg nach dem Frühstück aus — manchmal jedenfalls. Die Zeit nutze ich, um den Computer anzuschmeißen, E-Mails zu lesen, Kaffee zu trinken und (ich kann es nicht lassen) wieder nach dem Zucker zu schauen. Langsam schwingt er sich nach oben, pfui! Komm in die Gänge, morgenmuffeliges Insulin!

8:30

Keine Zeit mehr, um über den Zucker nachzudenken. Die Arbeit ruft mit einem lauten Pling, Pling der eintreffenden E-Mails. Dank Homeoffice habe ich es nicht weit: zwei Meter vom Bett zum Schreibtisch. Leider fehlt da auch das Quäntchen Bewegung, das dem Blutzucker jetzt guttäte. Da muss ich mir noch etwas einfallen lassen. Yoga im Bett vielleicht?

12:30

Mist, nach einem arbeitsreichen Vormittag ist der Wert vor dem Mittagessen viel zu hoch: 280 mg/dl (15,5 mmol/l). Und kein Ende des Anstiegs in Sicht. Vermutlich weil ich zu viel zu tun habe, also megagestresst bin. Oder ich bekomme bald meine Periode. Die kündigt sich bei mir durch einen saftigen Zuckeranstieg an.

Hätte ich mal rechtzeitig die Insulindosis erhöht! Aber manchmal reagiert mein Blutzucker auf Stress mit einer Unterzuckerung. Und auch meine Periode ist ziemlich unberechenbar. Da traue ich mich nicht, mir vorsorglich mehr Insulin zu verpassen.

Also bleibt nur, den erhöhten Wert zu korrigieren: Drei Einheiten Insulin rufe ich ab, zusätzlich zu den vier Einheiten fürs Mittagessen, eine blutzuckerfreundliche Vollkornsemmel mit Käse. Weil der Wert so hoch ist, warte ich mit dem Essen noch eine halbe Stunde. Dann kann das Insulin schon mal anfangen zu wirken.

14:30

Wert keinen Deut gesunken. Ich bin kurz davor, noch ein paar Extraeinheiten abzurufen ("Nimm das, Blutzucker!"). Aber dann rutsche ich wohl später in ein Tief. Schließlich wirkt das verabreichte Insulin noch. Also verkneife ich mir eine weitere Korrektur.

Vielleicht kommt das Insulin auch deshalb nicht in die Gänge, weil die Kanüle in einer Verhärtung liegt. Das ist wie eine Straßensperre für Insulin. Ich überlege, ob ich sicherheitshalber die Kanüle wechsele und an eine andere Stelle lege. Aber eigentlich ist erst morgen ein Wechsel fällig. Also lasse ich es.

Zumal gleich eine Videokonferenz startet. Kein guter Moment, um mit Kanülen zu hantieren. Und auch nicht für das matschige Gefühl im Kopf durch den hohen Zucker. Dennoch besser als ein Tief, das alle Gedanken schachmatt legt.

17:30

Die Sonne scheint. Das und der störrisch hohe Blutzucker (inzwischen wenigstens auf 225 mg/dl (12,5 mmol/l) gesunken) sind Grund genug, eine Runde im Wald zu drehen. Weil die Werte so hoch sind, habe ich die Insulinrate, die meine Pumpe automatisch abgibt, nicht schon eine Stunde vor dem Spaziergang gesenkt.

Jetzt drücke ich sie aber auf 70 Prozent herunter. Sonst erwischt mich vielleicht mitten im Wald eine Unterzuckerung. Für den Fall packe ich immer Saft ein. Wehe, wenn ich den vergesse! Zur Not müsste ich fremde Leute um Süßes anbetteln.
Die Kombi aus Bewegung und Entspannung zähmt auch den widerspenstigsten Blutzucker. So auch diesmal. Kaum habe ich einen Fuß zur Tür raus, stürzt die Kurve ab. Nach dem Spaziergang ist der Wert mit 130 mg/dl (7,2 mmol/l) endlich wieder akzeptabel. Weil ich gleich noch eine Online-Yogastunde habe, lasse ich die Insulinrate gesenkt.

19:00

Mit leicht erhöhten 150 mg/dl (8,3 mmol/l) starte ich in die Yogastunde. Mache mir jetzt mehr Sorgen um meinen Sensor als um den Blutzucker. Denn manche Übungen sind echte Sensorkiller. Etwa die Krähe, bei der man mit den Knien auf den Oberarmen balanciert. Da kommt auch das tolle Tape, mit dem ich den Sensor zusätzlich fixiere, an seine Grenzen.

Der Blutzucker bleibt brav. Für den Fall, dass er zu stark sinkt, habe ich als Sport-BE einen Müsliriegel neben mir liegen. Daheim schaut keiner blöd, wenn ich den während der Yogastunde esse.

20:00

Yogastunde geschafft, mit 125 mg/dl (6,9 mmol/l) ein Superwert. Und jetzt ein leckerer Kartoffelauflauf mit Käse und Spinat. Den hat mein Freund zubereitet und die BE dafür berechnet. Auch der Blutzucker freut sich und bleibt stabil, obwohl ich nach der Insulingabe gleich losgefuttert habe. Durch die Bewegung ist auch das lahme Insulin endlich in Schwung gekommen.

23:30

Beim letzten Blick aufs Handy liegt der Wert bei 80 mg/dl (4,4 mmol/l), Tendenz sinkend. Also schnell noch was Süßes einverleiben, obwohl ich mir gerade die Zähne geputzt habe? Muss wohl. Sonst schlägt das Handy womöglich mitten in der Nacht Alarm, weil sich ein Tief anbahnt.

Gut, Blutzucker, du hast gewonnen. Ich schleiche in die Küche und trinke ein Glas Orangensaft. Das sollte reichen, um ein nächtliches Zuckertief zu verhindern. Und lässt die Werte hoffentlich nicht über das Ziel hinausschießen. Also: Gute Nacht, süße Träume und benimm dich, Blutzucker!

Das Wichtigste in Kürze

Besonders Menschen mit Typ-1-Diabetes müssen ständig ihren Blutzucker im Blick haben und jeden Tag viele Entscheidungen treffen, damit die Werte nicht entgleisen.
Essen, Bewegung, Stress, Aufregung, Medikamente, Hormone, Krankheiten: All das und noch viel mehr beeinflusst die Blutzuckerwerte. Und auch wenn man sich sorgfältig um seinen Diabetes kümmert, gibt es manchmal ein unerklärliches Auf und Ab.