Null Bock auf Diabetes
Rebell, Schussel, Grübler: In der Pubertät scheinen Sprösslinge zu mutieren. Der Blutzucker ist dabei oft egal. Welcher Typ ist Ihr Kind? Wir geben Ihnen passgenaue Tipps
Zoff und Zunder gibt es in vielen Familien, sobald Kinder in die Pubertät kommen. Hat der Nachwuchs Diabetes und nun keine Lust mehr, sich um seine Erkrankung zu kümmern, stehen viele Eltern vor einem ernsten Problem. "Diabetes passt eigentlich gar nicht in die Pubertät, in der Kinder auch mal unbedacht und verrückt sein dürfen, um ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln", sagt der Psychologe Professor Dr. Bernhard Kulzer vom Diabetes Zentrum Mergentheim. Die Kunst sei, "eine Balance zwischen gesundem Aufwachsen und guten Blutzuckerwerten zu finden". Und das funktioniere bei jedem Typ anders. Wie Sie Ihrem Nachwuchs am besten helfen, verrät unsere kleine Charakteranalyse — mit Tipps vom Experten.

Der Schussel:
Insulin? Liegt zu Hause statt im Schulranzen. Blutzucker kontrollieren? Ups, leider vergessen. Manche Kinder macht die Pubertät schusselig.
Das rät Bernhard Kulzer: "Dem Schussel fehlt die Motivation, sich um seinen Diabetes zu kümmern. Die Folge: hohe Zuckerwerte. Dadurch fühlt er sich schlecht, leistet weniger. Aber wer sich unwohl fühlt, hat erst recht keine Lust, seinen Diabetes zu managen. Ein Teufelskreis. Wichtig ist, dass Jugendliche diesen Zusammenhang verstehen. Dabei kann das Diabetesteam helfen. Und Sie könnten mit Ihrem Kind sprechen, was motivieren könnte. Es würde gern mal mit seinem Freund allein wegfahren? Dann vereinbaren Sie mit ihm: Wenn der Nachwuchs es einen Monat lang schafft, gut mit dem Diabetes zurechtzukommen, erfüllen Sie ihm den Wunsch."

Das Mama-Kind
Sich selbst um den Blutzucker kümmern: warum? Macht doch die Mama. Manche Kinder möchten lieber keine Verantwortung übernehmen …
Das rät Bernhard Kulzer: "Kinder lernen meist schnell, selbst ihren Diabetes zu managen, wenn Eltern sie lassen. Stück für Stück sollten Mutter und Vater deshalb mehr Verantwortung abgeben — denn der Nachwuchs muss ja mit dem Diabetes durchs Leben gehen. Sie können das Kind entscheiden lassen, was es als Nächstes selbst übernehmen will. Wichtig: immer für Fragen offen sein, das Kind weiterhin liebevoll begleiten."

Die Panikerin
Neiiiiinnnn! Der Blutzucker ist nicht optimal! Manche Kinder entwickeln in der Pubertät eine solche Angst vor schlechten Werten, dass die Lebensfreude dabei auf der Strecke bleibt.
Das rät Bernhard Kulzer: "Warum ist die Angst so ausgeprägt? Dieser Frage sollten Sie auf den Grund gehen. Vielleicht hatte das Kind schon schwere Unterzuckerungen, die traumatisch waren? Oder laufen gerade andere Dinge im Leben nicht optimal, und die Konzentration auf den Diabetes soll davon ablenken? Am besten sprechen Sie mit Ihrem Kind und dem Diabetesteam darüber. Oft kann eine Psychologin helfen."

Der Hansdampf
Bloß nichts verpassen: Schule, Sport, Gitarre, Freunde. Manchmal wird das zu viel. Denn da wäre ja auch noch der Diabetes.
Das rät Bernhard Kulzer: "Wenn der Diabetes routinemäßig mitläuft im Alltag, ist das erst einmal gut. Tatsächlich muss ein jugendlicher Hansdampf aber aufpassen, sich nicht zu überfordern. So ganz nebenbei lässt sich ein Diabetes eben doch nicht managen. Zu Ärzten zu gehen, die Diabetes-Utensilien zu besorgen und täglich den Blutzucker zu managen kostet Zeit und Energie. Diese Zeit sollte man auch ganz realistisch einplanen. Natürlich spricht nichts dagegen, als Ausgleich zu Diabetesmanagement und Schule Sport zu treiben, Musik zu machen oder Freunde zu treffen. Doch der Tag hat nur 24 Stunden. Ab und zu durchzuatmen und Pause zu machen ist ganz wichtig, um seelisch gesund zu bleiben."

Der Grübler
Am besten zu Hause verkriechen: nur nicht auffallen mit Insulinpumpe und Diabetes.
Das rät Bernhard Kulzer: "Wer sich in der Wohnung verkrümelt, kann nicht gesund aufwachsen. Der Grübler muss lernen, dass er trotz Diabetes alles machen kann, wenn er gut geschult ist und sich um die Krankheit kümmert. Mountainbiken, ins Fast-Food-Restaurant gehen, irgendwann auch Alkohol trinken. All das kann er tun — genau wie seine Freunde. Dem Grübler fehlt es an Selbstsicherheit. Ihm hilft es meist, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und zu sehen, dass er nicht der einzige Mensch mit Diabetes auf der Welt ist. Einen richtigen Schub fürs Selbstbewusstsein könnte ihm eine Ferienfreizeit für Jugendliche mit Diabetes geben. Am besten beim Diabetesteam nach Angeboten fragen."

Die Verliebte
Auf Wolke sieben schweben: wenn nur nicht die Hormone verrückt spielen würden und damit auch der Blutzucker.
Das rät Bernhard Kulzer: "Ob verknallt oder nicht, im Teeniealter schüttet der Körper vermehrt Hormone aus — und das auch noch ungleichmäßig. Dadurch wirkt das Insulin nicht mehr so gut. Wachstumshormone führen zum Beispiel oft zu einem hohen Morgenzucker. Ist dann bei frisch Verliebten noch das Aufputschhormon Adrenalin im Spiel, ist ein Chaos der Blutzuckerwerte programmiert. Jeder Tag kann anders sein. Diese Unstetigkeit macht Pubertierenden zu schaffen. Hilft aber nichts, den Blutzucker muss das Kind dennoch im Lot halten. Haben Sie Verständnis. Den Diabetes in dieser Phase im Griff zu haben kostet viel Kraft. Eine engmaschige Betreuung beim Arzt ist sinnvoll. Moderne Insulinpumpen — am besten in Kombination mit Glukosesensoren — mildern oft das Auf und Ab der Werte."
Hilfe für die Psyche
Das vertraute Diabetesteam kann Jugendliche und ihre Eltern meist gut beraten, wenn es Probleme mit dem Diabetesmanagement gibt.
Unter www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/qualifizierung/fachpsychologe-ddg
findet man Psychologen, die auf Patienten mit Diabetes spezialisiert sind.