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Einmal Diabetes, immer Diabetes – das galt jahrzehntelang. Mittlerweile haben Studien dies aber widerlegt. Typ-2-­Dia­betes lässt sich sehr wohl in vielen Fällen rückgängig machen. Ärzte und Ärztinnen sprechen von Remission, wenn die Zuckerwerte wieder denen von gesunden Personen entsprechen und Betroffene keine Medikamente gegen Diabetes mehr benötigen. Von Heilung sprechen sie nicht, weil die Krankheit zurückkommt, wenn das Gewicht wieder steigt.

Dass sich Typ-2-Diabetes allein durch Alltagsmaßnahmen zurückbilden kann, belegte 2018 erstmals die DiRECT-Studie aus Großbritannien. Damals wurde geprüft, ob Patientinnen und Patienten, die hausärztlich betreut werden, eine Remission erreichen können. 298 Personen nahmen teil.

Gewichtsreduktion ließ Typ-2-Diabetes verschwinden

Nach einem Jahr wogen diejenigen, die das Diät- und Unterstützungsprogramm mit­gemacht hatten, ­im Schnitt zehn Kilo weniger. 46 Prozent benötigten keine blutzuckersenkenden Medikamente mehr. Von denjenigen, die mindestens 15 Kilo abgenommen hatten, waren sogar fast 90 Prozent den Diabetes los. Ein Erfolg, mit dem kaum jemand in der Wissenschaft gerechnet hatte.

Und ein Erfolg, von dem Betroffene doppelt profitieren: Nicht nur der Typ-2-Diabetes verschwindet. Es gibt auch Hinweise darauf, dass das Risiko für Folgeschäden an Augen, Nieren und Herz-Kreislauf-System sinkt. Dieses Risiko ist schon bei Menschen mit einer Dia­betes-Vorstufe, dem Prädiabetes, erhöht. Deshalb sind die Ergebnisse der aktuellen PLIS-Studie eine gute Nachricht. Mehr als 1000 Personen mit Prädia­betes nahmen über zwölf Monate an einem Ernährungs- und Bewegungsprogramm teil. Knapp 300 verloren mindestens fünf Prozent ihres Körpergewichts. 43 Prozent aus dieser Gruppe erreichten normale Zuckerwerte, ihr Prädiabetes war nicht mehr nachweisbar. Und ihr Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, verminderte sich um 73 Prozent.

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Ernährungstherapie verbessert Wirkung des Insulins

Aber was verändert sich eigentlich im Körper, wenn sich Diabetes oder seine Vorstufe zurückbilden? Die Diabetologin Prof. Dr. Diana Rubin, Chefärztin des Zentrums für Ernährungsmedizin und Diabetologie am Vivantes Humboldt-Klinikum und Klinikum Spandau in Berlin, erklärt es so: „Wer durch eine Ernährungstherapie deutlich Gewicht verliert, baut vor allem Bauchfett ab.“ Das steckt etwa in der Leber, der Bauchspeicheldrüse oder um andere innere Organe herum. Dieses sogenannte viszerale Fett setze die Wirkung von Insulin herab. Wenn das Fett schmelze, könne Insulin wieder besser wirken. Die Insulinresistenz geht zurück, die Zuckerwerte sinken.

Remission des Typ-2-Diabetes dauerhaft erhalten

An den ersten Erfolg schließen sich jedoch zentrale Fragen an. Wie lange hält der Zustand an? Wie lässt sich die Rückkehr des Diabetes dauer­haft verhindern? Schließlich neigen Menschen dazu, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, sobald sich Hürden auftürmen. Stress in der Arbeit oder im Privatleben, ein Urlaub mit Burger, Pasta, Eis: Zack, futtert man wieder Kohlenhydrate satt, und mit den Kilos kehrt oft der Diabetes zurück.

Die Biologin Dr. Kerstin Kempf sucht am Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum (WDGZ) in Düsseldorf nach Methoden, die eine lange Remissionszeit ermöglichen. Dort haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Studienzentrums bereits ein Schulungsprogramm entwickelt. Es befähigt Patientinnen und Patienten, nach Ende des Programms auch unter schwierigeren Bedingungen gut klarzukommen (siehe auch Interview unten).

Das Schulungsprogramm erfüllt Kriterien, die Expertinnen und Experten bei der Herbsttagung 2023 der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) als besonders wichtig für den Langzeiterfolg erachteten: Die Pa­tientinnen und Patienten müssen dauerhaft anders, vor ­allem kohlenhydratärmer, essen als zuvor. Sie müssen sich wöchentlich wiegen und brauchen zudem regelmäßige ärztliche Kontrollen. Schließlich benötigen sie einen Plan, wie sie bei einem Rückschlag reagieren sollen, etwa wenn die Zuckerwerte wieder steigen.

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Apps helfen bei Fragen zur Ernährung

Ganz klar: „Die Hauptarbeit liegt bei den Patientinnen und Patien­ten“, sagt Forscherin Kempf. Aber wer diese Lebensaufgabe annimmt, auf den warten gute Nachrichten: Die Verlängerung der DiRECT-Studie hat jetzt belegt, dass Menschen, die auch nach fünf Jahren noch merklich schlanker sind, ihre Remission erhalten können.

Die Chance, die nötige individuelle Unterstützung zu finden, wächst. So gibt es Apps, die Ärztinnen und Ärzte als Digitale Gesundheits­anwendungen (DiGAs) auf Rezept verordnen können. Ernährungs­medizinerin Rubin hat mit deren Verordnung gute Erfahrungen gemacht. „Die Online-Unterstützung in Ernährungsfragen passt zwar nicht für jeden, ist aber immer noch besser, als allein mit dem Übergewicht zurechtkommen zu müssen.“

Solche Fortschritte sind ­wichtig, denn der bislang erfolgreichste Weg zu einer langfristigen Remission, die bariatrische Operation, ist definitiv keine Lösung für alle. Zwar befreit eine Magenverkleinerung die meisten Operierten zumindest zeitweise vom Diabetes. Nach 15 Jahren sind es noch knapp 33 Prozent. Der Preis ist aber hoch: ein gewisses Risiko für Komplika­tionen und eine oft lange psychische Belastung.

Weniger Insulin im Blut, weniger Gewicht, weniger Typ-2-Diabetes – das zu erreichen ist enorm anstrengend. „Aber es ist realistisch, und es lohnt sich“, ermuntert Kerstin Kempf. „Selbst wenn die Remis-
sion nicht von Dauer ist, berichten unsere Patientinnen und Patienten, dass sich ihr Leben verbessert hat.“

Erfolgreiche Remission – Betroffene berichten

Dominic Hanné, 44, verlor 15 Kilo. HbA1c: 5,7 %

„2021 wurde bei mir Typ-2-Diabetes diagnostiziert. Ich musste Insulin spritzen. Dann bin ich zum Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum gekommen. Dort wurde ich auf eine sehr kohlenhydrat- arme Ernährung umgestellt. Dadurch konnte ich auf Insulin verzichten — und nach weiteren drei Monaten brauchte ich kein Metformin mehr.

Dominic Hanné kann dank erfolgreicher Remission auf Insulin-Spritzen verzichten.

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Inzwischen mache ich auch viel Kraftsport und habe Spaß daran. Nicht zuletzt, weil ich damit meine Beschwerden durch fünf Bandscheibenvorfälle losgeworden bin. Ich fühle mich fit wie seit 20 Jahren nicht mehr. Ein Hobby musste ich aufgeben: die Patisserie, also filigrane Törtchen zu kreieren. Dafür habe ich ein neues Lebensgefühl. Das wiegt es auf. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Umstellung als einfach empfinden könnte. Aber so ist es.“

Klaus Rentsch, 59, nahm 20 Kilo ab. HbA1c: 6,1 %

„Typ-2-Diabetes wurde bei mir 2022 eher zufällig entdeckt, als ich eine Schlafapnoe abklären ließ. Der Langzeitblutzucker hat sich erst verbessert, als ich mit einer Ernährungstherapie begonnen habe. Über
ein Glukose-Sensor-Messgerät konnte ich mehrere Wochen lang mitverfolgen, wie mein Blutzucker bei einigen Lebensmitteln hochschoss, bei anderen nicht. Auf dieser Basis wurde ich beraten, wie ich per- sönlich gesünder essen kann. Es hat etwas gedauert, aber nun habe ich für alle Insulintreiber Alternativen gefunden, die ich mag. Ich weiß außerdem: Zucker ist wie eine Sucht für mich. Wenn ich meinen Erfolg halten möchte, darf ich mir keine Ausnahmen genehmigen. Das klingt schwerer, als es ist. Schließlich hat sich nicht nur mein Diabetes normalisiert, auch Blutdruck und Schlafapnoe sind besser geworden.“

Vier Fragen an Expertin Dr. Kerstin Kempf

Dr. Kerstin Kempf leitet das Studienzentrum des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ) in Düsseldorf.

Dr. Kerstin Kempf leitet das Studienzentrum des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ) in Düsseldorf.

Was ist entscheidend, um Typ-2-Diabetes möglichst lange loszuwerden?

Kerstin Kempf: Es braucht ein individuelles Konzept. Die gleiche Menge an Kohlenhydraten lässt den Blutzucker bei unterschiedlichen Menschen verschieden stark steigen. Wie es beim Einzelnen ist, findet man am besten heraus, indem die Werte mithilfe einer Dauermessung eine Zeit lang überwacht werden. Dann lassen sich maßgeschneiderte Tipps geben, sodass es mit dem Abnehmen und den besseren Zuckerwerten klappt.

Wie maßgeschneidert müssen die Tipps sein?

Kempf: Wir gehen zum Beispiel mit Patientinnen und Patienten in den Supermarkt und üben, die Nährwertangaben auf Lebensmitteln zu verste­hen. Oder: Ein Patient macht sich ganz vorbildlich einen Salat — und sein Blutzucker schnellt hoch. Er kontaktiert uns und wir finden heraus: Es liegt am Balsamico-­Essig. Wir erklären ihm dann, was er anders machen kann.

Welche Erfolgsfaktoren stecken noch in Ihrem Programm?

Kempf: Die Teilnehmenden erhalten ein persönlich zugeschnit­tenes Programm, um ihren Lebensstil zu verändern. Ernährung, Gewicht und Bewegung werden über eine App kontrolliert und online besprochen. Wichtig sind auch die Motivationsfach­leute, die sie kontaktieren können. So finden sie schon während der Schulung ihre Strategie gegen Durchhän­ger für die Zeit danach.

Das ist viel intensiver als die kassenfinanzierte Diabetesschulung …

Kempf: Ja. Eine Therapie, die Prädiabetes oder Typ 2 mit hohen Erfolgsraten ver­schwinden lässt, ist bisher nur in Studien verfügbar. Wir haben eine Methode entwickelt, wie Menschen mit Diabetes zusätzlich zur Routineversorgung telemedizinisch begleitet werden können. Der Ge­meinsame Bundesausschuss muss jetzt entscheiden, ob sie Kassenleistung wird.

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