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Fast fühlt es sich an wie Heilung. Wer an Typ-1-Diabetes erkrankt, braucht zunächst viel Insulin, um den entgleisten Blutzucker zu normalisieren. Doch wenige Wochen oder Monate nach Therapiebeginn sinkt der Insulinbedarf plötzlich drastisch. Mitunter bleibt der Blutzucker sogar ohne Insulinspritzen stabil.

Aber: Der Diabetes verschwindet nicht. Der Autoimmunprozess, der ihn ausgelöst hat, schreitet fort. Das Immunsystem zerstört die insulinproduzierenden Zellen. Bei der Diagnose sind noch einige Zellen erhalten. Durch das gespritzte Insulin erholen sie sich und produzieren vorübergehend mehr Insulin.

Bis zu acht von zehn Menschen mit Typ-1-Diabetes kommen in diese Erholungsphase, auch Remissions- oder Honeymoonphase genannt. Wie lange sie dauert, hängt auch vom Alter bei der Diagnose ab. "Bei Kleinkindern sind es mitunter nur Wochen. Oder die Phase bleibt ganz aus. Bei älteren Kindern und Erwachsenen können es bis zu ein, zwei Jahre sein", sagt Professorin Dr. Olga Kordonouri, Ärztliche Direktorin des Kinderkrankenhauses auf der Bult in Hannover. Kinder, deren Stoffwechsel zum Zeitpunkt der Diagnose noch nicht schwer entgleist war, haben häufiger eine Remissionsphase.

Isabelle Fabian mit Sohn Konstantin (10), der seit Sommer 2019 Typ-1-Diabetes hat

"Nach der Dia­gnose bekam Konstantin jeden Tag 40 Einheiten Insulin. Die insulinproduzierenden Zellen haben sich so gut erholt, dass mein Sohn zeitweise fast ohne Insulin auskam. Im Skiurlaub haben wir nur bei größeren Mahlzeiten eine Dosis gespritzt. Danach stieg der Insulinbedarf wieder. Ich dachte, das war's mit der Erholungsphase! Aber es lag daran, dass Konstantin ein paar Tage gefaulenzt und mehr gegessen hat. Jetzt braucht er wieder wenig Insulin und hat tolle Werte. Das bleibt hoffentlich noch eine Weile so!"

Den Beginn der Remissionsphase machen Ärzte daran fest, dass der Insulinbedarf sehr stark sinkt. "Braucht ihr Kind kaum noch Insulin, um die Werte im Griff zu behalten, hoffen viele Eltern, dass der Diabetes wieder weggeht", sagt Dr. Christof Klinkert, Kinderdiabetologe aus Herford. Die Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen lässt sich nicht stoppen. "Eine auf den Bedarf optimal abgestimmte Insulingabe kann aber die verbliebenen Zellen unterstützen, sodass sie länger funktionieren", so Klinkert.

Welche Insulinstrategie sich in der Remissionsphase am besten eignet, bespricht man mit dem Dia­betologen. Manchmal ist nur zu den Mahlzeiten etwas Insulin nötig. Mitunter bleiben die Werte auch ohne Insulingaben stabil. "Doch es scheint sich günstig auszuwirken, wenn man die Therapie — bei Bedarf mit einer sehr niedrigen Dosierung — fortsetzt", sagt Klinkert. Wichtig ist,  Insulin vorsichtig zu dosieren, um Unterzuckerungen zu vermeiden. Das Gute: Durch die noch vorhandene Insulinproduktion schwanken die Zuckerwerte meist wenig. Der Diabetes lässt sich oft leichter behandeln.

Thomas Striemann (39), seit 2018 Typ-1-Diabetes

"In den ersten eineinhalb Jahren mit Typ 1 war meine Bauchspeicheldrüse unberechenbar. Sie hat wohl mal mehr, mal weniger Insulin hergestellt. Ich musste ständig die Insulindosis ändern. Mehr als sechs bis acht Einheiten am Tag waren es aber nie — also extrem wenig. Um das Insulin feiner dosieren zu können und weil ich als Notfallsanitäter arbeite, bin ich von Pen auf Pumpe umgestiegen. Heute brauche ich 30 Einheiten Insulin am Tag. Immer noch wenig. Mein Diabetologe vermutet, dass meine Bauchspeicheldrüse noch etwas Insulin produziert und es vielleicht so bleibt, weil ich erst als Erwachsener Typ 1 bekommen habe."

Am Ende der Remissionsphase versiegt die Insulinproduktion allmählich. "Dann steigen die Blutzuckerwerte, schwanken stärker, und der Insulinbedarf nimmt zu", sagt Kordonouri. Manchmal nur vorübergehend, etwa wegen eines Infekts. Doch früher oder später muss der gesamte Insulinbedarf per Pen oder Pumpe verabreicht werden.

Zerstörung aufhalten

Forscher suchen nach Möglichkeiten, welche die Remissionsphase verlängern, bestenfalls die Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen stoppen. "Eine Insulin-Restsekretion zu erhalten würde helfen, die Zuckerwerte zu verbessern und das Risiko für Folgekrankheiten zu verringern", sagt Kordonouri. Das wäre zwar keine Heilung, aber ein Fortschritt.