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Professorin Monika Kellerer ist Diabetologin und Chefärztin der Klinik für Innere Medizin 1 am Marien­hospital Stuttgart. Bis vor Kurzem war sie Präsidentin der Deutschen Diabetes Gesellschaft

Wie hat sich die Therapie des Typ-2-Diabetes mit ­Medikamenten über die Jahre verändert?

Wir verfügen jetzt über eine größere Auswahl an Wirkstoffen, die eine individuelle Behandlung ermöglichen. Die Therapie lässt sich zudem stufenweise intensivieren und manchmal wieder zurückfahren — ganz wie ein Patient es braucht. Als ich mit der Diabetesmedizin angefangen habe, gab es Metformin und Sulfonylharnstoffe. Halfen sie nicht ausreichend, musste man gleich Insulin spritzen.

Kommen dank der größeren Medikamentenauswahl mehr Typ-2-Diabetiker als früher ohne Insulin zurecht?

Tatsächlich ist für viele der Zeitraum deutlich länger, in dem sie ihren Diabetes ohne Insulin beherrschen können. Bei Typ-2-Diabetes entstehen die hohen Blutzuckerwerte meist dadurch, dass die Körperzellen schlecht auf vorhandenes Insulin ansprechen. Ihre Bauchspeicheldrüse produziert Insulin. Es kann nur nicht wirken, wie es soll. In diesen Fällen wäre es häufig ungünstig, sehr früh Insulin einzusetzen.

Gilt das für alle Menschen mit Typ-2-Diabetes gleichermaßen?

Nein. Diabetes ist nicht gleich Diabetes. Etwa zehn Prozent der Menschen mit Typ 2 haben schon sehr früh im Krankheitsverlauf einen ausgeprägten Insulinmangel und benötigen das Hormon bald oder von Anfang an.

Wie sieht die Behandlung des Typ-2-Diabetes mit ­Medikamenten heute aus?

Sie baut sich auf wie ein Turm: Das Fundament ist immer eine gesunde Lebensweise. Werden Medikamente nötig, bildet Metformin die Basis, um den Blutzuckerspiegel kurz- und langfristig auf die Zielwerte zu senken. Es geht darum, starke Blutzuckerschwankungen ebenso zu vermeiden wie Folgeschäden des Diabetes durch lange Zeit zu hohe Zuckerwerte.

Was folgt danach?

Bei Menschen mit Diabetes, die keine weiteren Risikofaktoren aufweisen, steht die Blutzuckerkontrolle im Mittelpunkt. Reicht Metformin dafür nicht oder wird schlecht vertragen, lässt sich noch ein Zuckersenker, etwa ein DPP-4-Hemmer, dazukombinieren. Allerdings haben sehr viele bei der Diagnose bereits weitere gesundheit­liche Probleme, etwa schlechte Blutfettwerte oder Herz­erkrankungen. Dann sind andere Mittel sinnvoller.

Welche?

Einem stark übergewichtigen Patienten schlägt der Arzt, wenn das möglich ist, beispielsweise zusätzlich zum Metformin ein Medikament vor, das ihn beim Abnehmen unterstützt, etwa ein Glutid oder einen SGLT-2-Hemmer. Für einen Patienten mit Herzschwäche kommt ein SGLT-2-Hemmer infrage. Mit einem dritten Mittel ließe sich die Kombinations­therapie bei Bedarf weiter verstärken.

Je nach Begleiterkrankung also das passende Mittel?

Genau. Man wählt die Diabetesmedikamente, die neben der zuckersenkenden Wirkung einen zusätzlichen Nutzen haben, so gezielt aus, dass auch die Begleit­erkrankung mitbehandelt wird. Erst an der Spitze des Turms kommt Insulin dazu.

Viele steigen also nicht ganz auf Insulin um, sondern erhalten weiter Medikamente gegen Diabetes?

Eine ­Kombinationstherapie ist oft möglich. Sie erleichtert den Alltag enorm, weil Patienten weniger Insulin spritzen, rechnen und planen müssen. Gleichzeitig profitieren sie weiterhin von Vorteilen einzelner Mittel, etwa dem Herz- und Nierenschutz.

Lässt sich durch die neuen Medikamente auch eine bereits bestehende Insulintherapie zurückfahren?

Das hängt natürlich vom Einzelfall ab. Aber es ist durchaus denkbar, dass jemand zum Beispiel mit einem Glutid in Kombination mit Insulin so gut abnimmt, dass die Zellen wieder besser auf das Hormon ­ansprechen. Dann lässt sich die Insulindosis reduzieren oder ganz auf Insulin ­verzichten.