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In Deutschland sind 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren übergewichtig. 5,9 Prozent davon sind adipös. Das geht aus einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) hervor, der sogenannten KiGGS Welle 2, die zwischen 2014 und 2017 durchgeführt wurde. 3561 Kinder und Jugendliche hatten an der Erhebung teilgenommen, darunter 1799 Mädchen und 1762 Jungen. Einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gibt es demnach nicht. Das RKI hatte zwischen 2003 und 2006 schon eine ähnliche Studie durchgeführt, die sogenannte KiGGS Basiserhebung. Demnach sind heute nicht mehr Kinder und Jugendliche von Übergewicht betroffen als damals.

Auch wenn die Zahlen anscheinend nicht weiter steigen, eine gute Nachricht sei das trotzdem nicht, sagt Dr. Susanna Wiegand. Sie ist Fachärztin für Kinderheilkunde und leitet im Sozialpädiatrischen Zentrum an der Charité Universitätsmedizin Berlin den Bereich Adipositas. "Die Zahlen sind auf hohem Niveau stabil", betont sie. "Rund zwei Millionen von Übergewicht und Adipositas betroffene Kinder und Jugendliche, das ist nichts, wo man sich zurücklehnen kann."

Wann ist ein Kind zu dick?

Ist mein Kind zu dick? Um diese Frage zu beantworten, muss man ein wenig rechnen. Denn eine reine Gewichtsgrenze gibt es nicht. Grundlage für die Bestimmung, ob ein Kind übergewichtig ist, ist wie bei Erwachsenen der sogenannte Body-Mass-Index (BMI). Dabei wird das Gewicht mit der Größe ins Verhältnis gesetzt. Bei Erwachsenen gibt es eine klare Grenze: Liegt der BMI über 25, hat man Übergewicht. Beträgt er mehr als 30, ist von Fettleibigkeit (Adipositas) die Rede.

Bei Kindern wird zusätzlich zur Größe und zum Gewicht noch das Alter und das Geschlecht einbezogen. Dazu gibt es die sogenannten Perzentilen-Kurven, die man auch aus dem gelben U-Heft für Größe und Gewicht kennt. Entsprechendes gibt es auch für den BMI. Man berechnet zunächst den BMI des Kindes und ermittelt dann unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht, auf welcher Perzentile dieser liegt. Liegt der BMI in der Perzentilen-Kurve zwischen 90 und 97, ist das Kind übergewichtig. Landet der Wert in der Kurve bei über 97, ist das Kind adipös. Diese Zahlen sagen aus, wie viel Prozent der Kinder mehr und wie viele weniger wiegen. Der Wert von 91 zum Beispiel besagt, dass 9 Prozent der Kinder einen höheren BMI haben und 91 Prozent einen niedrigeren. Die BMI-Grenzwerte sind dabei andere als bei Erwachsenen. So gilt ein sechs Jahre alter Junge ab einem BMI von 19,8 als adipös.

Zur Erinnerung: Bei Erwachsenen liegt diese Grenze bei einem BMI von 30. Damit Sie nicht alles selbst ausrechnen und abgleichen müssen, haben wir einen BMI-Rechner für Kinder.

Was sind die Ursachen?

Die Antwort auf diese Frage ist zunächst einfach: Hinter Übergewicht steckt auch bei Kindern und Jugendlichen immer eine positive Energiebilanz. Das heißt: Man nimmt mehr Kalorien über Essen und Getränke auf, als man verbraucht. Wer viele Süßigkeiten oder sehr fettiges Essen isst oder häufig gesüßte Getränke trinkt, der nimmt damit auch besonders viele Kalorien auf. Wenn man sich zusätzlich wenig bewegt, verbraucht man kaum Kalorien – so kommt die sogenannte positive Energiebilanz zustande. Somit spielt der Lebensstil – also die Ernährung und das Maß an Bewegung – eine wichtige Rolle, wenn es um die Entstehung von Übergewicht geht.

Ganz so einfach ist es aber doch nicht. Bei der Entstehung von Übergewicht spielen viele weitere Faktoren eine Rolle: zum Beispiel eine familiäre Veranlagung, also die Gene. "Gibt es zum Beispiel Spielplätze oder Radwege? Grundsätzlich ist auch die Frage entscheidend, ob das eigene Umfeld zu Bewegung einlädt", erklärt Christine Joisten. Sie ist Professorin an der Deutschen Sporthochschule Köln und Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA). Auch die Entscheidungen der Politik können damit zur Entstehung von Übergewicht beitragen: zum Beispiel auch durch die geltenden Regelungen zum Thema Werbung für ungesunde Lebensmittel oder welche Steuern auf diese Lebensmittel erhoben werden.

Wo liegen die Probleme bei der Bewegung?

Kinder und Jugendliche sollten körperlich aktiv sein, die Empfehlungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) richten sich nach dem Alter. Bis drei Jahre sollten Kinder sich einfach so viel bewegen, wie sie möchten. Je mehr, umso besser. Bis sechs Jahre sollten es mindestens drei Stunden am Tag sein. Und zwischen sechs und 18 Jahren mindestens eineinhalb Stunden. "Das wird aber schon im Grundschulalter schwierig, wenn der Schulweg nicht zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt wird und die Pause am Handy verbracht wird", sagt Susanna Wiegand. Hinzu komme der Medienkonsum zu Hause. "Daran ist nicht nur das Sitzen problematisch", sagt die Expertin. Das Stresslevel steigt teilweise und das blaue Bildschirmlicht wirkt sich negativ auf den Schlaf aus – das wiederum kann den Stoffwechsel verschlechtern. "Das sind alles Puzzleteile, die bei Kindern und Jugendlichen zu Übergewicht führen."

Wo liegen die Probleme in der Ernährung?

Zu viel Zucker, zu viel Fett: Vor allem Süßigkeiten, Frühstückscerealien und Fertigprodukte sind laut Wiegand ein Problem. Sie höre in ihrem Klinikalltag häufig: "Mein Kind isst kein Gemüse." Das ist nicht angeboren, sondern kann durch die Geschmacksprägung bedingt sein. Die Kinder und Jugendlichen essen zum Beispiel viel Süßes und gewöhnen sich mehr und mehr daran. Ihre Geschmacksempfindung ändert sich und schließlich lehnen sie weniger süße Lebensmittel ab. Die gute Nachricht ist: "Das lässt sich umkehren", sagt Wiegand. Allerdings nicht von heute auf morgen und auch nicht mit einem Mal probieren. Oberste Regel ist laut Wiegand: "Gesüßte Getränke haben in der Kinderernährung nichts zu suchen, das gilt auch für Saftschorlen und Getränke mit Süßstoff statt Zucker."

Welche Rolle spielen die Gene?

Diese Frage warf der US-amerikanische Psychiater und Wissenschaftler Albert Stunkard in den 1980er-Jahren als einer der Ersten auf. Er untersuchte für eine Studie 540 erwachsene Adoptivkinder sowie deren leibliche und Adoptiveltern. Er teilte ihr Gewicht in vier Klassen ein: dünn, mittelschwer, übergewichtig und fettleibig. Er stellte einen starken Zusammenhang zwischen der Gewichtsklasse der Kinder und der ihrer biologischen Eltern fest, allerdings keinen Zusammenhang zwischen der der Kinder und der ihrer Adoptiveltern. Daraus schlussfolgerte er, dass die genetischen Einflüsse eine sehr wichtige Rolle in Bezug auf das Körpergewicht spielen. Der familiäre Einfluss sei hingegen zu vernachlässigen.

Seitdem hat sich Einiges getan, der Blick auf das Thema Übergewicht hat sich verändert. "Bis zum Ende der körperlichen Entwicklung machen die Gene etwa 50 Prozent der Gewichtsentwicklung aus", sagt Wiegand von der Charité. Aber, und das ist der Medizinerin wichtig zu betonen: Selbst wenn man die Veranlagung zum Dickwerden hat, kann man über gesundes Essen und ausreichend Bewegung gegensteuern – es bedarf möglicherweise nur mehr Aufwand, als bei Menschen ohne diese Veranlagung.

Dass Kinder und Jugendliche heute dicker seien als zu Zeiten des Wissenschaftlers Stunkard, habe dagegen nichts mit der Genetik zu tun. "Es dauert mehrere Tausend Jahre, bis die Erbanlagen sich ändern. Diese Zunahme liegt am Lebensstil", sagt Wiegand.

Welche gesundheitlichen Folgen drohen?

"Man findet die gleichen Erkrankungen bis hin zu Diabetes und zur nicht-alkoholischen Fettleber wie bei Erwachsenen", sagt Professorin Joisten. Dazu gehören Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Nierenerkrankungen, Fehlstellungen wie X-Beine, ein nicht ausreichend ausgeprägtes Fußgewölbe oder Gelenkprobleme. Auch das Risiko, als Erwachsene etwa Diabetes-Typ-2 oder eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu bekommen, ist erhöht. "Es gibt eine bestimmte Beständigkeit: Aus übergewichtigen Kindern werden oft übergewichtige Erwachsene", sagt Joisten. Das Problem macht beim Gewicht nicht halt: Sogenannte metabolische Störungen wie ein erhöhter Blutzucker im Kindesalter sind oft irreversibel. Das heißt, dass sie, sind sie einmal vorhanden, häufig nur schwer oder eben gar nicht mehr verschwinden. Deswegen ist es so wichtig, frühzeitig einzugreifen und dem vorzubeugen.

Manche Kinder, die sehr übergewichtig sind, bekommen bereits in jungen Jahren den einst als Altersdiabetes bezeichneten Typ-2-Diabetes. Derzeit erkranken in Deutschland Schätzungen zufolge rund 175 Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren jedes Jahr an Typ-2-Diabetes. Andere Schätzungen gehen von rund 200 neu erkrankten 12- bis 19-Jährigen pro Jahr in Deutschland aus. Das sind etwa fünfmal so viele wie vor zehn Jahren. Tendenz: steigend. Und es gibt ein weiteres Problem: "Wir gehen von einer Dunkelziffer von eins zu zehn aus", sagt Susanna Wiegand. Das heißt: Auf einen Fall, der erkannt wird, kommen zehn Fälle, die unentdeckt bleiben.

Entwickelt sich Diabetes bereits im Kindes- oder Jugendalter, steigt das Risiko für Komplikationen im Laufe der Zeit, wie die Autoren einer Studie aus den USA schlussfolgern. Sie hatten 500 Teilnehmer, die bereits im Jugendalter an Typ-2-Diabetes erkrankten, von 2011 bis 2020 beobachtet. Ihre sogenannte kumulative Inzidenz, Bluthochdruck zu bekommen, lag bei 67,5 Prozent. Kumulative Inzidenz, das ist die Wahrscheinlichkeit, mit der in einer bestimmten Zeit eine Erkrankung auftritt. Die für eine Fettstoffwechselstörung lag bei 51,6 Prozent und die einer diabetischen Nierenerkrankung bei 54,8 Prozent. Bei 60,1 Prozent der Teilnehmer trat der Studie zufolge mindestens eine Komplikation auf und bei 28,4 Prozent traten mindestens zwei Komplikationen auf.

Psychische Folgen von Übergewicht

Ein großes Problem sind auch die Vorurteile und Abwertungen aus dem Umfeld. "Wenn man nachfragt, haben alle Betroffenen solche Erfahrungen in Bezug auf ihr Körpergewicht gemacht", sagt Susanna Wiegand, die im sozialpädiatrischen Zentrum der Charité Kinder und Jugendliche mit Adipositas betreut. Die Kinder werden oft gemobbt, tyrannisiert und gehänselt. Die Stigmatisierung sei das größte Problem. "Auch später werden Übergewichtige zum Beispiel als weniger klug eingestuft." Teilweise geht Adipositas mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen einher.

Verstärkt wird dieses Problem dadurch, dass fettleibigen Menschen gerne die Schuld an ihrem Gewicht gegeben wird, statt sie als Menschen zu sehen, die krank sind und Hilfe brauchen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und auch die Deutsche Adipositas Gesellschaft sehen das anders. So auch Susanna Wiegand. Aber in diesem Bereich tut sich etwas: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der hierzulande darüber entscheidet, welche Kosten die gesetzlichen Krankenkassen tragen, hat mit der Entwicklung eines strukturierten Behandlungsprogramms begonnen.

Sind Kinder mit Adipositas besonders durch Covid-19 gefährdet?

Ähnlich wie bei Erwachsenen ist es auch bei Kindern und Jugendliche mit manchen chronischen Erkrankungen bei einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 wahrscheinlicher, dass die Infektion einen schweren Verlauf nimmt. Das ist zum Beispiel bei Kindern und Jugendlichen mit Trisomie 21, aber auch bei Adipositas der Fall, wie Prof. Jörg Dötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin, bei einer Pressekonferenz erklärte. Dennoch sprach er sich gegen eine Impfung von besonders gefährdeten Kindern unter zwölf Jahren aus: Es gebe noch viele Millionen ungeimpfte Erwachsene – dort liege das Problem. Und er betonte: "Selbst, wenn man nicht an sich selbst denkt und selbst wenn einem die eigene Covid-Erkrankung egal ist, aber jeder Mensch hat eine Pflicht dazu, Menschen, die sich nicht selbst schützen können, zu schützen."

Was können Eltern tun?

Hinnehmen sollte man das Ganze keinesfalls. "Die Pandemie des Übergewichts ist zwar nicht so akut bedrohlich wie Covid, aber auf lange Sicht ebenso gefährlich", betont Joisten vom AGA-Vorstand. An den Stellschrauben, die man selbst beeinflussen kann, sollte man drehen – dem Lebensstil. Vor allem in Sachen Bewegung und Ernährung kann man selbst einiges tun. Bei Kindern und Jugendlichen, die sich ja im Wachstum befinden, sollte man sich erst einmal jedoch unbedingt in der kinderärztlichen Praxis beraten lassen, wenn man sich um ihr Gewicht sorgt. Der Kinderarzt oder die Kinderärztin können das Gewicht einordnen, gegebenenfalls abklären, ob organische Ursachen hinter einem Übergewicht stecken könnten und beraten, ob Maßnahmen nötig und welche sinnvoll sind.

Wie sollte die Ernährung bei Kindern mit Übergewicht aussehen?

Von einer speziellen Diät rät die Expertin Susanna Wiegand ab. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen droht der Jo-Jo-Effekt. Das bedeutet, dass man zunächst abnimmt, nach der Diät aber all die verlorenen Kilos oder gar mehr wieder zunimmt. Außerdem können Diäten den Stoffwechsel nachteilig beeinflussen und langfristige Schwierigkeiten wie zum Beispiel Störungen der Pubertätsentwicklung auslösen. Nicht zuletzt ist es möglich, dass Diäten bei Kindern oder Jugendlichen auch ins Gegenteil – nämlich in eine Magersucht oder andere Essstörung – führen können, warnt Wiegand. Auch Kalorienzählen sei nicht nötig. Stattdessen empfiehlt sie, die Ernährung langfristig umzustellen.

Zunächst einmal: "Kinderernährung ist ein Familienprojekt", betont Susanna Wiegand. Das heißt: Eine Umstellung gelingt am leichtesten, wenn alle mitmachen. Kleinere Kinder benötigen pro Tag drei Mahlzeiten und zwei Snacks, Jugendliche drei Mahlzeiten. Und als Grundregel gilt: Der Verzehr von Zucker sollte reduziert und der von Ballaststoffen – etwa aus Gemüse, Obst und Vollkornprodukten – hochgefahren werden. Bei Fetten sollte man darauf achten, dass es günstige Fette aus hochwertigen Ölen oder Nüssen sind. Als grobe Orientierung für die Zusammensetzung der Kost können die Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) dienen.

Ganz praktisch bedeutet das: Als Erstes sollten die süßen Getränke gestrichen werden. Für Süßigkeiten und andere Snacks gilt: nicht mehr als eine Handvoll am Tag – dabei sollte die Hand nur so voll sein, dass man sie noch schließen kann. "Wer mit süßen Frühstückscerealien in den Tag startet, hat schon die doppelte Portion der Empfehlung zu sich genommen", warnt Wiegand. Überhaupt sei die Größe der Hände ein guter Anhaltspunkt für angemessene Portionen: Eine Brotscheibe sollte etwa so groß wie die Handfläche, ein Stück Fleisch wie der Handteller sein. Eine Portion Obst sollte von der Menge her etwa der Größe der eigenen Faust entsprechen. "Mit diesen Vergleichen landet man von der Energiemenge her ziemlich genau dort, wo man auch sein sollte."

Was kann man in Sachen Bewegung tun?

Auch hier gilt: Am besten klappt es, wenn alle mitziehen. "Die Eltern müssen den Kindern ein Vorbild sein", sagt Joisten von der Sporthochschule in Köln. Sich selbst bewegen, Sport machen und das Kind dabei möglichst mitnehmen und mitmachen lassen. Auch aktive Familienausflüge, am besten draußen in der Natur, machen Spaß und tun allen gut. Joisten empfiehlt auch, beim örtlichen Sportverein zu schauen, was es dort für Angebote gibt.

Ebenso wichtig sei aber auch die sogenannte nicht-angeleitete Bewegung: also Zeit im Freien, in der die Kinder spielen und toben, wie sie möchten. Dabei muss man seine elterliche Sorge manchmal etwas unterdrücken, wenn die Kinder Neues probieren. Davon profitieren die Kinder auf unterschiedliche Weise: "Sie werden selbstbewusst, wenn sie Dinge wie balancieren alleine versuchen dürfen und es auch irgendwann schaffen." Und: "Wenn wir Kinder Dinge ausprobieren lassen, gewinnen sie auch an motorischer Sicherheit. Das verringert die Gefahr von Unfällen."

Was Bewegung verhindert: Zeit am Bildschirm. Nicht umsonst lautet die Empfehlung: null Minuten Fernsehzeit für Kinder unter drei Jahren. Für Kinder zwischen drei und sechs Jahren sind es maximal 30 Minuten, für Sechs- bis Zwölfjährige höchstens eine Stunde. Ab 13 Jahren nicht mehr als eineinhalb Stunden täglich, ab 15 Jahren zwei. Joisten appelliert an die Eltern, in diesem Punkt Grenzen zu setzen und ihren Erziehungsauftrag ernst zu nehmen – auch wenn sie sich damit zunächst vielleicht unbeliebt machen.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) rät zudem, darauf zu achten, dass Kinder nicht zu lange sitzen. Nach 20 Minuten sollte es eine bewegte Unterbrechung geben. Es müssen auch nicht immer die üblichen Aktivitäten wie Radfahren oder Spazierengehen sein. Stattdessen kann man Federball oder Frisbee, mit kleineren Kindern Fangen spielen und bei schlechtem Wetter eine Tanzparty im Wohnzimmer veranstalten.

Welche professionellen Angebote gibt es für übergewichtige Kinder?

Besonders bei deutlichem Übergewicht sollten Familien mit dem Arzt oder der Ärztin sprechen. Unter Umständen überweist dieser an Spezialisten, empfiehlt ambulante Programme oder eine stationäre Behandlung.

Die Bandbreite an Angeboten ist sehr groß: Von der Ernährungsberatung bis hin zu stationären Angeboten gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Deutsche Adipositas Gesellschaft und die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter kann hier bei der Orientierung helfen: Auf der Webseite sind zertifizierte Adipositas-Trainerinnen und -Trainer – das sind speziell geschulte Ärzte, Psychologen/Pädagogen sowie Fachkräfte der Bereiche Ernährung und Sport – aufgelistet. Außerdem kann man auf der Internetseite stationäre und ambulante Einrichtungen nach Postleitzahlen in einem festgelegten Umkreis suchen.

Wichtig ist laut der Leitlinie zur Therapie von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen, dass eine Behandlung die Komponenten Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie umfasst. Außerdem sollte die Familie einbezogen werden.

Bei einer stationären Behandlung in einer Adipositas-Rehaklinik haben die Patientinnen und Patienten einen strukturierten Alltag. Dass die entsprechenden Veränderungen abseits vom Wohnort erlernt werden, sei oft ein Vorteil, sagt Susanna Wiegand. Aber oftmals falle es dann schwer, das Gelernte im Alltag zu Hause umzusetzen. Sie kritisiert, dass das Angebot an ambulanten Angeboten massiv zurückgegangen sei, weil nicht ausreichend Geld dafür zur Verfügung stehe: "Hier haben wir eine Versorgungslücke."

Hat ein Jugendlicher bereits Typ-2-Diabetes oder erhöhte Blutzuckerwerte, ist auch in dieser Altersgruppe die Änderung des Lebensstils die erste Wahl. Aber auch für Jugendliche gibt es zugelassene Medikamente: Metformin – und wenn das nicht geht oder ausreicht – Insulin oder Liraglutid.

Wie soll die Politik handeln?

Hier sehen die Expertinnen und Experten inzwischen eine der wichtigsten Stellschrauben: Statt den Einzelnen in die Verantwortung zu nehmen, könnte die Politik Maßnahmen treffen, die es den Menschen leichter machen, gesund zu leben. In der Fachsprache ist dann von einem Wandel weg von der Verhaltensprävention hin zur Verhältnisprävention die Rede. Laut Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft, sind dafür zunächst drei wesentliche Maßnahmen nötig:

  • Ein verbindlicher Nutri-Score vorne auf der Lebensmittelpackung. Damit ist eine farbliche Kennzeichnung wie bei einer Ampel gemeint: Grün steht für gesund, Orange für okay und Rot für ungesund. So kann jeder leicht erkennen, ob ein Produkt gesund oder ungesund ist. Bisher ist dieser Nutri-Score freiwillig und nur auf einigen Lebensmitteln abgedruckt. Man muss meist die oft recht kleingedruckte Zutatenliste sowie der Nährwerttabelle lesen.
  • Weniger Mehrwertsteuer für gesunde Lebensmittel. Das bedeutet, dass die Mehrwertsteuer für gesunde Produkte wie Gemüse und Obst entfällt. Für Lebensmittel wie Nudeln oder Reis sollen Verbraucher demnach weiterhin sieben Prozent Mehrwertsteuer zahlen. Für ungesunde Produkte, die viel Zucker, Fett oder Salz enthalten, sollten, 19 Prozent gelten, und eine besonders hohe Mehrwertsteuer von 29 Prozent soll es für Softdrinks geben.
  • Werbeverbote für ungesunde Kinderlebensmittel. Laut einer Studie der Universität Hamburg sieht ein mediennutzendes Kind zwischen drei und 13 Jahren täglich mehr als 15 Lebensmittelwerbungen für ungesunde Produkte im Internet und im Fernsehen. 92 Prozent der ausgestrahlten Lebensmittelwerbungen, die sich an Kinder richten, werben für Ungesundes.

Zudem fordert die DDG, eine Stunde Bewegung pro Tag in den Schulen und Kitas verbindlich umzusetzen sowie die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bei den dort angebotenen Mahlzeiten verpflichtend zu berücksichtigen.

In vielen anderen Ländern gelten bereits ähnliche Maßnahmen, dadurch wisse man, dass sie wirken, betont Bitzer. "Es wäre ohne große Probleme möglich, all das zügig umzusetzen", sagt sie. "In der Pandemie wurden wesentlich schwerwiegendere Maßnahmen zum Gesundheitsschutz durchgesetzt." Und betont: "Es geht nicht um generelle Verbote von Werbung oder ungesunden Lebensmitteln. Die Politik sollte mit den Maßnahmen ein Umfeld schaffen, das es allen Menschen leichter macht, sich gesund zu ernähren und eine gesunde Wahl zu treffen."

Warum tut sich so wenig? Dem stehen zum einen die Interessen der Lebensmittelindustrie entgegen, die laut Bitzer eine zu große Rolle spielen. Außerdem sieht sie einen Fehler im System: Der gesundheitliche Verbraucherschutz ist in dem Ministerium angesiedelt, das auch die Interessen der Lebensmittelindustrie vertritt. Nämlich im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. "Da besteht ein gewisser Interessenkonflikt", sagt Bitzer. Der Verbraucherschutz sei besser im Gesundheitsministerium aufgehoben. Wie Bitzer betont, müssen alle an einem Strang ziehen, um das Problem in den Griff zu bekommen.