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Milch, Butter, Eier, Äpfel … Theresa Weber (Name geändert) fixiert den Computerbildschirm. Hirnleistungstraining in der Schön Klinik im Berchtesgadener Land. Dieses Mal will sich die 40-Jährige von der Einkaufsliste mehr merken und den kleinen Test besser meistern. Sie muss sich anstrengen, um sich vom anderen Patienten im Raum nicht ablenken zu lassen.

„Seit meiner Corona-­Infektion bin ich viel geräuschempfindlicher“, schildert Theresa Weber, die hier nicht ihren wahren Namen lesen möchte, um Probleme im Beruf zu vermeiden – in den sie bald zurückzukehren hofft. „Wenn ich mich 20 Minuten lang konzentrieren muss, wird mir übel und ich bekomme Kopfweh.“

Die Folgen von Long Covid

Überforderung ist ein zentrales Thema für Professor Rembert Koczulla, der die Rehaklinik nahe dem Königssee leitet: „Pacing, also die richtige Geschwindigkeit und Intensität, spielt bei Patientinnen und Patienten mit einer coronabedingten Fatigue ­eine große Rolle.“ Gehen sie über ihre Grenzen, ist ihr Zustand am nächsten Tag oft schlechter. Aktuell ist die Klinik zu etwa 50 Prozent mit Menschen belegt, die nach einer Covid-Infektion weiter Beschwerden haben.

Für Long-Covid-Patienten gibt es inzwischen spezialisierte Reha-Kliniken – der Bedarf ist groß.

Reha nach Long Covid?

Manchmal reicht eine ambulante Therapie nicht aus, um wieder zu genesen. Ob dann eine Reha hilft und welche Form bei wem geeignet ist, wird derzeit noch erforscht. zum Artikel

So wie Theresa Weber. Ende 2021 erkrankte sie an Corona. Starke Kopfschmerzen, über zwölf Tage bis zu 40 Grad Fieber, sie bekam immer schlechter Luft. „Ich war irgendwann körperlich so schwach, dass ich richtig Todesangst hatte.“ Sie kam ins ­Krankenhaus – und konnte nach der Entlassung nur 100 Meter weit gehen. „Damals strengte es mich sogar an, eine Suppe aufzuwärmen.“ Direkt nach dem Klinikaufenthalt wurde daher gemeinsam mit Fachärztinnen und -ärzten eine Anschlussheilbehandlung beantragt – eine Reha.

Long Covid, wie das Krankheitsbild mittlerweile genannt wird, trifft auch junge Menschen, besonders Frauen, oft schon mit 30 oder 40. Weitere Risikofaktoren scheinen zu sein ein schwerer Verlauf (der bei Männern öfter auftritt), unvollständiger Impfschutz und Begleiterkrankungen wie Diabetes.

„Man sollte sich nicht zu früh Sorgen machen, dass man Langzeitfolgen hat“, sagt Dr. Isabell Pink, die an der Medizinischen Hochschule Hannover die Covid-Ambulanz leitet. Symptome, die vier Wochen dauern, sind normal. Halten die Beschwerden länger an, sprechen Fachleute von Long Covid, nach zwölf Wochen vom Post-Covid- Syndrom. Die Symptome sind vielfältig: Konzentrationsstörungen, Fatigue (chronische Erschöpfung), Luftnot, Kopfschmerzen.

Milde Infektion, starke Luftnot

Bei Johannes S. war es die Luftnot, die nicht nachließ. Die Infektion selbst war mild verlaufen. „Nach fünf Wochen war ich immer noch nicht fit, ging trotzdem wieder zur Arbeit.“ Auf E-Mails bekommt der Sicherheitsingenieur jedoch immer wieder die Antwort: „Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst.“ Er fängt an, Texte dreimal zu lesen, bevor er sie abschickt. Schließlich testet eine Lungenfachärztin seine Atmung, verschreibt Cortison-Spray, empfiehlt eine Reha. Seiler hat Glück, über seine Berufsgenossenschaft erhält er schnell einen Platz.

Wenn er von der Reha erzählt, kommt er regelrecht ins Schwärmen: „Ich kam mir vor wie ein Profisportler. Mit Sauerstoffmessung am Ohrläppchen, dem persönlichen Training.“ Die Reha, das Cortison und seine Hart­nä­ckig­keit halfen ihm, in sein altes Leben zurückzukehren. Er ging regelmäßig wandern, kaufte einen Crosstrainer, kann wieder Ski fahren mit seinen Söhnen – „und in der Arbeit verstehen die Kollegen meine E-Mails wieder. Was ich auch nach eineinhalb Jahren nicht kann: joggen. Und mit geschlossenen Augen auf einem Bein stehen. Aber das braucht man zum Glück nicht so oft.“

Nicht alle bekommen so rasch einen Reha-Platz. Wer sich noch längere Zeit nach einer Corona-Infektion nicht voll leistungsfähig fühle, sollte mit einer Ärztin oder einem Arzt sprechen, rät die Deutsche Rentenversicherung. Wird eine Reha für nötig befunden, erhalten Patientinnen und Patienten einen Befundbericht.

Reha: So gelingt der Antrag

Für den Antrag wenden sich Berufstätige meist an die Deutsche Rentenversicherung, Rentnerinnen und Rentner an ihre Krankenversicherung. Dem Antrag neben dem Befundbericht alle Klinik- und Arztberichte beilegen, die in Verbindung mit der Erkrankung stehen. Verbraucherzentralen und Patientenverbände raten, bei einer Ablehnung schriftlichen Widerspruch einzulegen, der innerhalb eines Monats beim Träger eingehen muss.

„Das mag ja funktionieren, wenn man einen langen Atem hat oder jemanden, der einem hilft“, sagt Dr. Alexandra Jablonka von der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Rheumatologin erforscht ein digitales Reha- Konzept für Menschen, die keinen stationären Platz bekommen – oder nicht wegkönnen, weil sie kleine Kinder haben oder Angehörige pflegen. Das Angebot kombiniert persönliche Therapiestunden mit Videoeinheiten. Es ist eingebettet in eine Studie, die zeigen soll, was am besten hilft.

Auch Klinikleiter Rembert Koczulla sucht nach dem optimalen Konzept: „Wir gruppieren die Patientinnen und Patienten nach ihrem Hauptsymptom, bereits während der Wartezeit. Die Behandlung schneiden wir dann auf dieses Symptom zu und überprüfen die Fortschritte vor, während und nach der Therapie.“ Bis die Ergebnisse der Studie da sind, wird es allerdings noch viele Monate dauern. So lange bieten Ärztinnen und Ärzte Behandlungen an, die bei Krankheitsbildern helfen, die Long Covid ähneln.

„Wir schneiden die Reha-Maßnahmen auf das Hauptsymptom eines Patienten zu“: Professor Rembert Koczulla leitet eine Rehaklinik im Berchtesgadener Land

„Wir schneiden die Reha-Maßnahmen auf das Hauptsymptom eines Patienten zu“: Professor Rembert Koczulla leitet eine Rehaklinik im Berchtesgadener Land

Auch nach Diagnosekriterien suchen Medizinerinnen und Mediziner händeringend. „Wir würden so gerne sagen: Sie haben Long Covid, Sie nicht“, erklärt Isabelle Pink. „Denn gerade stehen wir vor einem Dilemma: Wir haben alle ein bisschen Pandemie, wir sind gestresster als sonst, erschöpfter.“

Unterschiedliche Bedürfnisse erfüllen

Die einen brauchen nur mal eine Verschnaufpause. Die anderen leiden tatsächlich an Post-Covid. „Das sind zum Teil junge Frauen, die nicht mehr arbeiten können. Und die brauchen nichts dringender als jemanden, der sie ernst nimmt“, sagt Pink. „Und die optimale Behandlung – sei es ambulant, digital oder stationär.“

Die Chancen auf Besserung variieren. Ist die Lunge nach einem schweren Verlauf vernarbt oder lassen Fatigue-Symptome nicht nach, ist eine wichtige Therapiesäule das Resilienztraining. „Wir stärken die seelischen Abwehrkräfte der Patienten und zeigen ihnen, wie sie mit ihren Einschränkungen umgehen können“, sagt Expertin Jablonka.

Auch für Ilona P. war es wichtig, dass die Seele in der Reha ihren Raum hatte. Ihr Corona-Infektionsverlauf war schwer, die Ärztinnen und Ärzte überlegten, sie ins künstliche Koma zu versetzen. „Zum Glück waren meine Werte genau an diesem Tag etwas besser.“ Zwei Drittel der Patientinnen und Patienten hätten diese Krankheitsschwere in ihrem Alter nicht überlebt, sagten ihr die Ärzte.

So geht es Ilona P. heute

Am 2. April feiert Ilona P. ihren zweiten Geburtstag: die Verlegung auf die Normalstation. „Ich habe während der Erkrankung halluziniert. Ich hatte das Gefühl, ich lebe in einer Hütte an einer Lagune, im Regenwald. Von der Hütte führte ein Weg ins Dunkle. Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich den nicht gegangen bin.“ Das Motiv malte sie in der Reha, das half ihr, die Zeit zu verarbeiten, in der sie mit dem Tod rang.

Ilona P. arbeitet wieder als Richterin in Potsdam. Es ist nicht alles wie vorher. Urteile muss sie jetzt manchmal dreimal lesen, früher war sie energievoller. „Aber was ist all das gegen ein ge­schenktes Leben?“


Quellen:

  • Lenzen-Schulte, Martina: Multiple bestehende Risikofaktoren, Long Covid ist nicht nur Schicksal. In: Deutsches Ärzteblatt 11.03.2022, 10: 438-444
  • Mehandru S, Merad M: Pathological sequelae of long-haul COVID. In: Nat Immunol . 23.04.2022, 2: 194-202
  • WHO Headquarters: A clinical case definition of post COVID-19 condition by a Delphi consensus. https://www.who.int/... (Abgerufen am 20.03.2022)
  • AWMF: Patientenleitlinie für Long Covid . https://www.awmf.org/... (Abgerufen am 20.03.2022)
  • Deutsche Rentenversicherung: Post-COVID:Mit Reha neue Kraft tanken . https://www.deutsche-rentenversicherung.de/... (Abgerufen am 20.03.2022)
  • Verbraucherzentrale Hessen: Reha: Wie Sie eine medizinische Rehabilitation . https://www.verbraucherzentrale-hessen.de/... (Abgerufen am 20.03.2022)
  • Dr. med. Dietrich August, Dr. med. Roland Giesen, Dr. rer. nat. Veronika Götz, Dr. med. Stefanie Pfau, Dr. med. Katarina Stete, Prof. Dr. med. Winfried V. Kern: Post-COVID-Syndrom, Anhaltend krank nach SARS-CoV-2. In: Deutsches Ärzteblatt 11.03.2022, 10: 432-436