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In einer perfekten Welt würde keiner den Gruß meiden, wenn ihm eine weiß gefleckte Hand gereicht wird. In einer perfekten Welt würde keine „igitt“ denken, weil ihr Gegenüber Akne hat. Und es würde niemand aus dem Freibad geschickt, weil seine Schuppenflechte gerade wieder einen Schub hat.

Chronische Hautkrankheiten können teils mit Medikamenten gelindert und mit Make-up kaschiert werden. Vollständig heilen lassen sie sich nicht. Betroffene sind entsprechend gezwungen, damit viele Jahre umzugehen, oft sogar ein Leben lang. Dabei erfahren viele von zwei Seiten Ablehnung: durch ihr soziales Umfeld und durch sich selbst.

Wenn die Akne auf die Psyche schlägt

„Ich habe mich so ungepflegt gefühlt – obwohl ich mich oft geduscht habe“, erzählt Jule Janßen rückblickend. Mit elf kam sie in die Pubertät. Und mit der Pubertät kam auch die Akne. Doch anders als bei den meisten ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler gingen die Pickel danach nicht weg. Schlechte Haut liege bei ihr in der Familie.

Der Hautarzt tat die Pickel und Pusteln ab und meinte nur, Akne täte immerhin nicht weh. Und wie sie das tat! Janßen war schon immer etwas nervös, hatte sich zu Beginn der Akne häufig ins Gesicht gefasst und gekratzt. Das hatte es noch schlimmer gemacht. Zu den Entzündungen kamen Schuldgefühle, selbst verantwortlich für die „schlechte“ Haut zu sein – und dabei so ausgeliefert. ­Jule Janßen meint: „Wenn etwas mit deiner Haut nicht stimmt, kann dir jeder am Gesicht ablesen, wie es dir geht.“

Lernen, mit der Hautkrankheit umzugehen

Georg Pliszewski lebt seit 50 Jahren mit der Weißfleckenkrankheit Vitiligo. Er kann sich noch gut erinnern, wie er als junger Mann in einer Uniklinik Rat suchte. Der Arzt erklärte ihm, das sei jetzt halt so. Gefährlich wäre es nicht. Aber wie es konkret weitergehe, könne er auch nicht sagen.

Georg Pliszewski versuchte lange seine Weißfleckenkrankheit zu verstecken.

Georg Pliszewski versuchte lange seine Weißfleckenkrankheit zu verstecken.

Auf sich allein gestellt, verbarg Pliszewski am Anfang die Flecken an den Armen mit langen Hemden – auch im Hochsommer. Er hatte beruflich viele Kundenkontakte und wollte nicht unangenehm auffallen. „Als die Flecken auch im Gesicht und an den Händen kamen und der Kontrast im Sommer auf gebräunter Haut recht stark wurde, war das schon ­extrem“, erinnert er sich. Er ließ sich einen Bart stehen. Aber wirklich verstecken konnte er die weißen Flächen nicht mehr.

Über die Jahre lernte Pliszewski offensiv mit seiner Hautkrankheit umzugehen. Er gründete eine Selbsthilfegruppe und später eine bundesweite Patientenorganisation, traf andere betroffene Menschen, tauschte sich aus. Und erfuhr von schlimmen Erlebnissen: etwa dem einer Kellnerin, die erlebt hatte, wie sich Gäste nicht mehr von ihr bedienen lassen wollten. Eine Kassiererin wurde aufgefordert, sich gründlicher zu waschen. Alles wegen der weißen Flecken.

Kampf gegen Stigmatisierung wegen Hautkrankheiten

Stigmatisierung trifft Menschen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern: etwa bei psychischen Leiden, bei starkem Übergewicht oder eben Hauterkrankungen. Äußere Merkmale werden abschätzig bewertet, völlig falsche Schlüsse werden gezogen. Etwa, dass chronische Haut­erkrankungen ansteckend sind. In Wahrheit handelt es sich bei Psoriasis, Vitiligo, Akne, Neurodermitis und Rosazea um Autoimmunerkrankungen, also eine Fehlfunktion des Immunsystems, bei der der Körper fehlgeleitet sich selbst angreift.

Politisches Gewicht bekam der Kampf gegen Stigmatisierung von Menschen mit Hauterkrankungen durch die Resolution der World Health Assembly (WHA) aus dem Jahr 2014. Diese rief damals unter anderem dazu auf, mehr für die Unterstützung Betroffener zu tun. In Deutschland taten sich Fachleute aus Dermatologie, Wissenschaft, aber auch von Patientenvertretungen zusammen. Daraus entstand ein Forschungsantrag mit dem Ziel, ein nationales Programm zur Entstigmatisierung zu entwickeln.

Doch die politischen Hürden waren groß – und der Antrag wurde zweimal vom Bundesministerium für Gesundheit abgelehnt. „Danach dachten wir, am besten kann man Menschen und somit auch das Ministerium überzeugen, wenn man wissenschaftliche Daten zum Thema vorlegt“, berichtet Dr. Rachel Sommer vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, die zum Thema Stigmatisierung forscht.

Viele Falschinformationen zu Hauterkrankungen

Sommers Forschungsgruppe untersucht, wie Menschen mit Hauterkrankungen ihre Gesundheit erleben – unter Berücksichtigung körperlicher, psychischer und sozialer Aspekte. Dafür hat das Team repräsentative Umfragen in Auftrag gegeben, die klären sollten, wie die deutsche Bevölkerung zu chronischen Hauterkrankungen steht.

Die Ergebnisse waren besorgniserregend: Mehr als die Hälfte der Befragten wollte Menschen, die etwa an Psoriasis leiden, nicht die Hand geben. Ähnlich viele dachten, dass sich Menschen mit Schuppenflechte besser pflegen müssten. Es stellte sich klar heraus, dass viele in Bezug auf chronische Hauterkrankungen falsch informiert waren. „Mit diesen Fakten konnten wir das Gesundheitsministerium überzeugen, unsere Sache zu unterstützen“, so die Forscherin.

„Wenn etwas mit deiner Haut nicht stimmt, kann dir jeder am Gesicht ablesen, wie es dir geht.“

Es wurden Seminare für angehende Medizinerinnen und Mediziner entwickelt, um sie für den Umgang mit Menschen mit chronischen Hauterkrankungen zu sensibilisieren. Auch für Lehrerinnen und Lehrer gab es Fortbildungen, um das Thema in ihren Klassen näher zu besprechen. Zentraler Teil dieser Kurse waren Begegnungen mit Betroffenen. Diese berichteten sehr persönlich von sich, ihrem Leben und ihren Erfahrungen. „Wenn die betroffenen Menschen erzählen, was ihnen alles widerfahren ist und welche Verletzungen sie erlebt haben, dann kann man im Seminarraum eine Stecknadel fallen hören“, erzählt Rachel Sommer bewegt. Ein solcher Austausch vermittle nicht nur Wissen, sondern stärke auch Verständnis und Mitgefühl.

Selbstliebe trotz Hautkrankheit lernen

Neben der Stigmatisierung durch das Umfeld gibt es aber auch Selbststigmatisierung. Betroffene ziehen sich aus Scham aus dem sozialen Leben zurück. Sie verbergen – wenn möglich – ihre kranken Hautpartien unter Kleidung oder bemühen sich, diese mit Schminke zu kaschieren.

„Ich habe so sehr versucht, Dinge an mir zu verstecken“, erzählt Jule Janßen. „Vom Wesen her, aber auch von der Optik. Mit der Akne habe ich mich echt alleine gefühlt.“ Dafür seien nicht mal zwingend Kommentare von anderen nötig gewesen. Klar habe sie sich den ein oder anderen Spruch anhören müssen. Ihr direkter Freundeskreis sei aber immer nett und unterstützend gewesen. Janßen macht vielmehr das Bild absoluter Perfek­tion, das in sozialen Netzwerken standardmäßig vermittelt werde, dafür verantwortlich.

Nach verschiedenen medikamentösen Therapieversuchen hat sie dank einer speziellen Antibabypille, umgangssprachlich „Hautpille“ bezeichnet, ihre Akne ganz gut im Griff. Geblieben sind die Narben vom Kratzen auf ihren Wangen. Doch Jule Janßen hat das Versteckspiel satt: „Ich will authentisch sein und zu mir stehen.“ Entsprechend hat sie ihre innere Haltung verändert und strahlt das nach außen hin aus. Auch Georg Pliszewski pflegt heute einen selbstverständlichen Umgang mit Vitiligo. Inzwischen ist sein ganzes Gesicht hell. Einzelne bräunliche Flecken an der Stirn erinnern noch an seine ursprüngliche Hautfarbe.

„Selbststigmatisierung entwickelt sich immer auf Basis dessen, was Menschen glauben, wie die Welt auf sie reagiert“, erklärt Forscherin Rachel Sommer. Diese Annahme werde dann verinnerlicht und es komme in Folge zur Selbstverurteilung: Betroffene Menschen schämen sich und leiden darunter. Angststörungen und depressive Symptome können die Folge sein, so Sommer.

Aktuell entwickelt ihre Forschungsgruppe eine psychologische Online-Intervention. Diese richtet sich speziell an ­Menschen mit sichtbaren chronischen Haut­erkrankungen – mit dem Ziel, die eigene psychische Gesundheit und dadurch die Lebensqualität zu verbessern. „Wenn wir positive Effekte erzielen, dann werden wir das Programm Betroffenen kostenlos zur Verfügung stellen“, macht Rachel Sommer Hoffnung. Im April 2025 soll es so weit sein.


Quellen:

  • Gisondi P, Luis P, Aleth Richard M et al.: Quality of life and stigmatization in people with skin diseases in Europe: A large survey from the ‘burden of skin diseases’ EADV project. Journal of the European Academy of Dermatology & Venereology: https://onlinelibrary.wiley.com/... (Abgerufen am 23.02.2024)
  • Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen: People Centered Health Care, PD Dr. Rachel Sommer. Online: https://www.pchc.eu/... (Abgerufen am 23.02.2024)