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Fast 35 Jahre lang verkörpte sie die „Mutter Beimer“ in der ARD-Serie Lindenstraße – heute ist Marie-Luise Marjan 83 Jahre alt und hält viele Lesungen. Im Interview spricht die Schauspielerin über die Anfänge ihrer Karriere, über ihren Lebens-Optimsmus und ihren Blick auf das Älterwerden.

Frau Marjan, Sie sind gelernte medizinische Fachangestellte?

Marie-Luise Marjan: Ja, das stimmt. Mein Vater meinte: „Theater ist brotlose Kunst, lern erst mal was Ordentliches.“ Und ich wollte gerne etwas mit Menschen zu tun haben. Aber meine Gedanken gehörten immer der Schauspielerei, so habe ich wohl zu oft bei der Arbeit in meine Reclam-Heftchen geschaut. Dadurch gerieten die Karteikarten etwas durch­­einander. Einen ganzen Silvesterabend habe ich mal mit meiner Mama in der Praxis verbracht, um das wieder in Ordnung zu bringen.

Wie gut, dass es dann doch die Schauspielerei geworden ist! Sie haben sehr viel klassisches Theater gespielt, waren sogar am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg …

Marjan: Ja, da waren wir noch Schauspielschülerinnen. In der Verfilmung der Gründgens-Inszenierung von „Faust“ bin ich übrigens auch zu sehen: als dralles blondes Mädchen, das beim Osterspaziergang sehr fröhlich tanzt, und als Hexe in der Walpurgisnacht. Das hat mir besonders gut gefallen.

Welche Leidenschaft überwiegt bei Ihnen? Theater oder Fernsehen?

Marjan: Mir gefällt, dass ich auf beiden Feldern zu Hause bin. Aber eigentlich sind es zwei verschiedene Berufe. Das Theater vergleiche ich immer mit einem 3000-Meter-Lauf. Vor der Kamera zu arbeiten, ist dagegen Stabhochsprung: kurzer Anlauf und dann auf den Punkt. Applaus gibt es aber nur auf der Bühne.

Sie waren fast 35 Jahre die Helga Beimer in der „Lindenstraße“. Waren Sie nie versucht, auszusteigen?

Marjan: Nein, nie. Dazu ist mein Pflichtbewusstsein zu stark. Ich habe die Rolle angenommen und gesagt: Ich gehe den Weg, bis er zu Ende ist. Viele rennen gleich weg, wenn mal was nicht funktioniert. Auch im privaten Leben gehen sie gleich auseinander. Schrecklich. Das ist an der alten Generation zu beobachten, die auch wirklich schwierige Zeiten durchgemacht hat: Die hat dieses Durchhaltevermögen und Pflichtbewusstsein, dabeizubleiben. Meinen Beruf habe ich immer als Berufung empfunden und die bleibt bis zum Schluss.

Die Küche von Mutter Beimer war vor einigen Jahren Teil einer Sonderausstellung im Haus der Geschichte in Bonn. Wie surreal war das, sie im Museum zu sehen?

Marjan: Ein bisschen ernüchternd. Sie stand nicht wie bei uns in einen Raum eingebettet, sondern auf einer Fläche, um die man herumgehen konnte. Es hatte nichts Heimeliges mehr. Leider wurde ja alles abgeräumt am ehemaligen Drehort.

Seit dem Ende der „Lindenstraße“ machen Sie vor allem Lesungen …

Marjan: Ja. Es macht mir sehr viel Freude, die Menschen zwei Stunden lang zu unterhalten. Den Abend kann ich selbst gestalten und wie gut ich war, höre ich dann am Applaus. Ich habe aus meiner Biografie einen Abend gemacht, aber das geht mir eigentlich zu nahe. Ich mag meine Krimi­lesungen lieber.

Wenn die Welt draußen im Ungleichgewicht ist, müssen wir wenigstens unser inneres Gleichgewicht behalten

Vor drei Jahren ist Ihr Lebenspartner gestorben. Wie haben Sie seinen Tod verarbeitet?

Marjan: Wir waren 39 Jahre zusammen. Wenn man sich so in- und auswendig kennt, wird der Mensch immer da sein. Nicht ständig, aber in bestimmten Situationen. Aber der Verstand sagt: „Es muss weitergehen.“ Und da haben mir die vielen Lesungen sehr geholfen – das Zusammenstellen der Texte, die Vorbereitung auf die Vorstellung, das viele Reisen.

Empfinden Sie das Alleine-Reisen manchmal als anstrengend?

Marjan: Nein, das finde ich ganz angenehm. Und es kommt ja immer jemand, der mir den Koffer trägt: „Ach, Mutter Beimer! Darf ich Ihnen helfen?“ Nur die Bahn selbst kommt oft nicht.

Sie sind mittlerweile 83 Jahre alt. Hadern Sie manchmal damit, dass Ihnen manches heute schwerer fällt als früher?

Marjan: Ich halte nichts davon zu jammern. Ich freue mich über das, was noch geht. Und was nicht mehr geht, das lasse ich. Ich habe beschlossen, das Alter anzunehmen wie einen guten Freund.

Bis 2020 spielte Marie-Luise Marjan die Rolle der Helga Beimer in der ARD-Serie „Lindenstraße“.

Bis 2020 spielte Marie-Luise Marjan die Rolle der Helga Beimer in der ARD-Serie „Lindenstraße“.

Wie halten Sie sich fit?

Marjan: Meine mediterrane Küche hilft mir dabei. Die Grundzutaten habe ich immer im Haus. Dazu kaufe ich mir frisches Gemüse oder einen Salat als Beilage. Fleisch esse ich fast gar nicht. Und ich trinke immer ein Gläschen guten Wein dazu. Früher habe ich jeden Tag Gymnastik gemacht, aber dann musste ich durch meinen Umzug schon genug herumlaufen, heben und mich bücken. Aber meine tägliche Runde ums Haus ist mir geblieben. Und ich schwimme gerne.

Sie selbst bezeichnen sich als „sonnigen Menschen“. Haben Sie
einen Tipp, wie man sich Optimismus schafft oder bewahrt?

Marjan: Wenn die Welt draußen im Ungleichgewicht ist, müssen wir wenigstens unser inneres Gleichgewicht behalten. Meine Serienrolle Helga Beimer hat sich ständig Sorgen gemacht, ich bin da viel realistischer: Wenn man eine Situation erkennt, die nicht so positiv ist, dann muss man versuchen, etwas Positives daraus zu machen. Wenn ich morgens aufwache, sage ich mir immer: „Was habe ich heute für Aufgaben?“ Und dann plane ich den Tag so, dass ich alles miteinander verbinden kann.

Ich hatte das Glück, dass ­immer zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Menschen auf mich zugekommen sind

Gibt es etwas, wofür Sie in Ihrem Leben ganz besonders dankbar sind?

Marjan: Meinen Adoptiveltern bin ich sehr dankbar, dass sie mich gut ­erzogen haben und mir jede Art von Bildung ermöglicht haben. Und ich hatte das Glück, dass ­immer zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Menschen auf mich zugekommen sind.

Dann glauben Sie an so etwas wie Schicksal oder Fügung?

Marjan: Unbedingt! Schicksal und Fügung bestimmen oft das Leben. Helga Beimer war meine 25. Mutterrolle. Im Laufe der Zeit hatte ich im Fernsehen und auf der Bühne 27 Ehemänner und 43 Kinder. Persönlich habe ich mich bewusst und mit vollem Herzen für meinen Beruf entschieden. Weil ich so viel mit Kindern und Jugendlichen gespielt habe, habe ich auch nie etwas vermisst. Mein Leben war immer angereichert mit vielen interessanten Menschen und darum habe ich mich nie allein gefühlt.