Professor Dr. Karlheinz Geißler erklärt, wie sein Körper ihm sein Zeitgefühl vorgibt
von Tina Haase, 13.08.2018
Meine Lebenssituation ist sicher der Grund dafür. Seit meinem fünften Lebensjahr bin ich langsamer unterwegs als andere. Gezwungenermaßen. Ich erkrankte an Kinderlähmung, lag ein Jahr lang im Bett. Dann lernte ich ein zweites Mal das Gehen. Ich hinke bis heute und kann nicht beschleunigen.
Ja, das stimmt. Wenn meine Freunde zum Bus rannten, kam ich nicht hinterher. Ich konnte auch keinen Führerschein machen. Dafür habe ich gelernt, immer genug Zeit einzukalkulieren.
Nein, natürlich gab es auch bei mir hektische Phasen. Inzwischen schaffe ich es aber gut, Stress zu vermeiden. Ich lege mir nur einen Termin am Tag. Wenn ich mit der Bahn unterwegs bin, nehme ich immer einen Zug früher als nötig. Ich trage keine Uhr, weil ich mir von einem mechanischen Gerät nicht das Leben diktieren lasse.
Ich orientiere mich an der Naturzeit. Unser Körper ist rhythmisch organisiert. Ich wache jeden Morgen gegen acht Uhr auf. Mal ein paar Minuten früher, mal ein paar Minuten später. Es ist doch ein Luxus, nicht vom Wecker geweckt zu werden. Ich nehme meine Körpersignale wahr und habe ein gutes Gefühl für die Zeit. Da der menschliche Rhythmus aber nicht so exakt ist wie der Takt der Uhr, plane ich Zeitpuffer ein.
Ich gerate nicht so schnell in Zeitnot und unter Stress. Ich kann warten, ohne dass es mich stört. Das haben viele Menschen verlernt. Ich nutze die Zeit zum Nachdenken. Dabei fallen mir übrigens die besten Ideen ein.
Na klar, aber wenn der Arbeitsstress zu viel wird und womöglich krank macht, sollte man sich überlegen, ob es nicht Auswege gibt. Ein anderer Arbeitgeber bietet vielleicht andere Freiräume. Auch am Arbeitsstil lässt sich was ändern. Manche Dinge kosten Zeit, sind aber völlig überflüssig. Da sollte man sich lieber Zeit für eine Pause nehmen.